Architektur
Der lückenschluss
erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 114 (Juni 2022)
Das Haus mit der Nr. 41 hat bewegte Zeiten hinter sich. Nach einem seiner bekannteren Bewohner wird es auch „Knipperdollinghaus“ genannt. Der Kaufmann war Bürgermeister und nicht weniger als der Statthalter des „Neuen Jerusalems“, wie die Wiedertäufer ihre Stadt nannten. Bekanntlich nahm er 1536 ein unrühmliches Ende – keinen Steinwurf entfernt mitten auf dem Prinzipalmarkt.
Seit mehr als einem Jahrhundert gehört das Haus der Kaufmannsfamilie Viehoff. Tobias Viehoff, bis Ende März Mitherausgeber des MÜNSTER! Magazins, ließ es in den letzten Monaten komplett umbauen. Das ist bei einem Denkmal, umgeben von Denkmälern, im Einzugsbereich der pingeligen münsterschen Altstadtsatzung immer auch ein Ringen um richtige Lösungen. Aber warum Ringen? Eigentlich müsste Denkmalschutz eine einfache Angelegenheit sein! Es gilt nur, den historischen Zustand möglichst originalgetreu wieder herzustellen? Weit gefehlt. Zumal am Prinzipalmarkt, dessen Häuser beim Wiederaufbau nach dem Weltkrieg eben nicht originalgetreu rekonstruiert wurden.
Auch beim Vorhaben P41 diskutierten und skizzierten, ent- und verwarfen Bauherr, Mensen + Zora Architekten (Gesamtplanung), Achterkamp + Möller Architekten (Giebel), Handwerker und Denkmalschützer über viele Monate alle Details des Umbaus. Der Gestaltungsbeirat der Stadt mischte selbstredend mit. Der Giebel war nach dem Krieg als einziger in der Reihe nicht komplett in Sandstein gearbeitet worden. „Das war für meinen Großvater damals eine Frage des Geldes. Der Verputz im oberen Teil des Giebels erinnerte daran, dass Münsters Kaufleute damals bis an die Grenzen gehen mussten. Ich hätte dieses Zeichen gern beibehalten“, so Viehoff. Doch am Ende votierte man für einen Lückenschluss, also einen Sandsteingiebel. Dessen Höhe orientierte sich in den ersten Entwürfen noch am eher gedrungenen Vorläufer. Doch die Planer rieten, mutiger in den blauen münsterschen Himmel vorzustoßen – um die Proportionen zum Umfeld zu wahren.
Auch die dunklen Fensterrahmen waren Gegenstand der Debatte. Bleiben sie dunkel, wie früher und beim Vorgängerbau üblich? Oder erfordert das Ensemble weiße Fensterrahmen, weil die bei den Nachbarn dominieren? Beim Blättern durch die unzähligen Detailentwürfe in ihren vielen Stadien beschleicht einen das Gefühl, dass man sich den Umbau eines Denkmals eher wie eine Echternacher Springprozession vorstellen sollte. Doch das muss wohl so sein.
Im Spannungsfeld zwischen Alt und Neu, zwischen Ensemble und Eigenart gibt es keinen simplen Weg. Das Ergebnis wirkt modern und gleichzeitg stimmig im Umfeld. So muss es wohl sein. Und es verdient das genaue Studium seiner bemerkenswerten Details. Beim markanten Durchbruch im Giebel hat jede der Sandsteinrippen einen eigenen Winkel – um des Lichteinfalls willen.