Architektur
Cibaria schaut raus, Münster schaut rein
erschienen in MÜNSTER! Magazin No. 94 (Oktober 2020)
Die Verbesserung der Ernährung gepaart mit dem Wunsch, Teil eines ökologischen und gemeinwohlorientierten Umbaus der Wirtschaft zu sein, treibt die Gründerin von Cibaria Rike Kappler seit 30 Jahren an. Auf der B-Seite des Hafens befindet sie sich mit dem Superbiomarkt und der Hafenkäserei diesbezüglich in guter Gesellschaft. Der perfekte Standort, denn für Rike Kappler war selbstverständlich, dass das Handwerk innerhalb der Stadt sichtbar bleiben musste, als sie den Entschluss zur Vergrößerung fasste. „Wir sind in den 30 Jahren immer weiter gewachsen.“ Von 210 Quadratmetern auf zuletzt etwa 900 und von vier auf mittlerweile 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Die meisten Besucher der Backstube an der Bremer Straße waren überrascht, wie weitläufig das gelbe Gebäude war.“ Und jetzt also 2.200 Quadratmeter am Hafen.
„Für Frische und hervorragenden Geschmack vermahlen wir vorwiegend das volle Korn auf unseren eigenen Steinmühlen.“ RIKE KAPPLER
Für Jirka Lux vom Architekturbüro Archplan war entscheidend, ein Gebäude zu schaffen, das dem Ort gerecht wird und eine Wirkung erzielt, die ohne Firmenschild deutlich macht: Das ist Cibaria! Die durch die Giebelfassade angedeutete Dachform zweier Sheddächer vermittelt zwischen den Satteldächern der B-Side auf der West- und dem zukünftigen Flachdachgebäude auf der Ostseite. Zwei große trichterförmige Einschnitte in der dunklen Fassade markieren wesentliche Punkte im Gebäude. „Wenn die Backstube in den späten Abendstunden den Betrieb aufnimmt, sind es diese beiden großformatigen Fenster, die als erstes leuchten“, erläutert der Architekt. Im einen sind die Mitarbeiter der Backstube bei der Arbeit zu beobachten, im anderen die im Besprechungsraum. Das Verschwimmen der Grenzen zwischen innen und außen ist ein Leitmotiv des Entwurfs. „Cibaria schaut raus, Münster schaut rein!“ Es ist ausdrücklich erwünscht, den Trichter zu betreten, um nah an das Backstubenfenster zu gelangen, sobald das Gebäude von der Hafenseite aus zugänglich ist.
Holz als Fassadenmaterial stand schnell fest, weil es so gut zu den ökologischen Vorgaben von Cibaria passt. Wie die Giebelform vermittelt es zwischen den Klinker- und Stahl-Glas-Fassaden der umliegenden Gebäude. „Wir wollten in jedem Fall ein Material, das sich verändert.“ Zum Einsatz kam dunkel lasierte heimische Douglasie aus Niedersachsen, die vermutlich mit den Jahren heller wird. „Die Kollegen freuen sich vor allem über die hellen hohen Räume“, berichtet Marketingleiterin Sophia Siemes, während sie durch die weitläufige Backstube geht. Hier spielt im wahrsten Sinne des Wortes die Musik. Während der feine Duft gerösteter Haselnüsse, glutenfreien Brotes und fertig gebackener Florentiner durch den Raum zieht, ertönen die Klänge von Antenne Münster. Für jeden Arbeitsschritt ist nun viel mehr Platz in dem U-förmigen Weg des Getreides. Auf der Rückseite ist gleichzeitig die Anlieferung des Getreides und die Abholung der fertigen Backwaren. „Das war der einzige Nachteil dieses Grundstücks!“, erzählt Rike Kappler, „es gibt keinen Verbindungsweg neben dem Gebäude zwischen Wasser- und Landseite.“ Im Jahr 2014 hatte sie zum ersten Mal Kontakt mit den Stadtwerken aufgenommen, denen die Grundstücke auf der Südseite des Hafens gehören. Für sie musste es gar kein Platz am Wasser sein, doch als der Interessent für das frühere Gefahrgutlager absprang, hatte sie ihren zukünftigen Standort gefunden. „Im Sinne des Upcyclings haben wir dann gemeinsam mit Archplan überlegt und prüfen lassen, welche Teile des Gebäudes weiter verwendet werden können.“ Die Brandwände auf der Ost- und Westseite blieben auf diese Weise ebenso erhalten wie das Dachtragwerk. Das Fundament erhielt fast 80 Mikropfähle zur statischen Verstärkung. „So mancher hat uns für verrückt erklärt, aber wir haben immer schon so gelebt und gearbeitet, Dinge zu erhalten oder wieder zu verwenden, wo es möglich ist.“ Auch die Einrichtung folgt diesem Prinzip. Ein Teil der Büromöbel standen ursprünglich in einem Gebäude der Lufthansa.
Für Architekt Jirka Lux zählen die auffälligen Treppenhäuser ebenfalls zu den Möbeln. Mit ihrem knallgelben Farbton stehen sie wie Skulpturen zwischen rauem Beton und ungestrichenen Wänden. Alles ist in allen Räumen sichtbar: Von den Holzwolle-Akustikplatten über Elektroinstallationen bis zu Rohrleitungen. Die Innenarchitektur symbolisiert so das Biobäcker-Handwerk: ehrliche Arbeit mit hochwertigen Rohstoffen.
Das Team Cibaria ist stolz, für den Umzug nur einen einzigen Tag die Backstube geschlossen zu haben. Seit Herbst/Winter 2020 ist das Café am Hafen geöffnet, zu dem alle Besucher über eine lange, behindertengerechte Rampe vom Hafen aus gelangen. Die Silhouette lässt sich aber genauso gut vom Wasser aus genießen. Rike Kapplers Lieblingsansicht des Gebäudes.