Zu Fuß
Einmal durch den grünen Tunnel
UNTER DEN LINDEN
Um der Frühjahrsmüdigkeit zu entwischen, ist eine Tour auf der Promenade perfekt. Die 4,5-Kilometer-Runde kann man mit einem Abstecher zum Wasser gut aufpeppen. Sobald sich die frischen Blätter hellgrün aus den Knospen falten, wird Münsters Promenade zu einer langen Laube mit besonderem Licht. „Tausende Linden stehen auf der Promenade, dazu kommen noch viele Exoten und andere Bäume, die unsere Region prägen“, so beginnt Wolfgang Schürmann seine „Na-Tour“ auf der Promenade. Seit Jahren führt der 68-Jährige Naturliebhaber auf Radtouren zu besonderen Baumexemplaren und erzählt dazu Geschichten. Die Promenade entstand auf der Basis der alten Stadtmauer. Generalvikar Franz von Fürstenberg ließ die Stadtmauer nach dem Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763 abreißen. Münsters Baumeister Nummer eins – Johann Conrad Schlaun – ordnete an, um die Stadt eine doppelreihige Allee mit Linden zu pflanzen, garniert von Parks und Verweilplätzen. Heute ist die Promenade Joggingstrecke und Fahrradautobahn – dabei macht es ebenso Spaß, mit Muße im Fahrradsattel langsam unter den Linden entlang zu rollen.
GEHEIMNISVOLLE INSCHRIFT
Den Blick für Bäume und Natur bekam Wolfgang Schürmann, als er für die Stadtverwaltung bis 2005 für Landschafts- und Naturschutzfragen zuständig war. Inzwischen sind Bäume sein Hobby. Er führt Radtouren für den NABU, den ADFC und für den Sauerländischen Gebirgsverein (SGV). Zu den vielen Naturdenkmälern der Stadt gehören zwei Rotbuchen auf der Promenade in der Nähe der LBS. „Sie sind am Ende ihrer Lebensphase“, beschreibt Wolfgang Schürmann die Exemplare mit den abgeschnittenen Ästen und dem borkigen Stamm. Eine Infotafel weist auf die geschützten Exemplare aus dem 18. Jahrhundert hin. „Ich bin fest davon überzeugt, dass sich hier Professor Landois verewigt hat“ – Schürmann klettert über die Abgrenzung und spürt mit den Fingern eingekerbte Formen im Stamm nach. Ein A, N, O und I sind zu erahnen. Münsters Zoo-Gründer Professor Hermann Landois (1835–1905) promovierte in der Zoologie in Greifwald, war Lehrer und Pfarrer in Münster, ein Unikum der Stadt, der mit seinem Affen „Lehmann“ auf der Tuckesburg nahe der Promenade lebte und schließlich Münsters erster Zoodirektor war. Wer weiß, vielleicht hat sich der Gelehrte tatsächlich, wie es sonst Verliebte tun, in der Baumrinde verewigt?
HALT VOR DEM SCHLOSS
Kurios ist auch Schürmanns Fahrrad: Es erinnert an ein Hochrad, der Sattel ist mit einem Band zum Lenker verbunden. Wahrscheinlich war es der erste gefederte Sitz. Der Däne Mikael Pedersen hat diesen Fahrradtypen mit den auffälligen Dreiecken im Rahmen 1894 zum Patent angemeldet. Mit einem rundumerneuerten Modell radelt Schürmann bequem zum Schloss. Auf dem Schlossplatz blühen früh im Jahr unzählige Zierkirschen. Auffallend ist, dass über ein ganzes Stück die Lindenallee an der Promenade vor dem Schloss aus eher mickrigen Exemplaren besteht: „Als im Jahr 2007 der Sturm Kyrill über Münster zog, sind die alten Linden umgefallen“, erzählt Schürmann. Danach wurden neue Linden gepflanzt – und die wachsen schwer an, denn sie kämpfen mit dem Untergrund. „Hier fehlt der Nährboden, denn an dieser Stelle der Promenade befinden sich meterweise die Trümmer aus den Kriegszerstörungen“, erklärt der Radführer. Apropos Schloss und Bäume: Wer viel Zeit hat, sollte unbedingt mal in den Botanischen Garten schauen. Einen ganz besonderen Baum allerdings findet man auch vor dem Schloss: Einen etwa 200-jährigen Ginkgo – „und sehen Sie unter den Ästen: dort hat der Ginkgo Ausformungen – als ob der Baum Brüste hätte“, gibt Schürmann zum Besten.
BIS ZU LINNENBRINKS GARTEN
Abseits der Promenade lassen sich besondere Bäume und Sträucher im Kreuzviertel und in Linnenbrinks Garten entdecken. Im letztgenannten Park ist Zeit für ein Stück Torte im Café Classique. Und Zeit für einen Sonnenschutz – den trägt die Blutbuche, deren Rinde so weiß wie die Häuserfassade ist. „Der Sturm Sabine im Winter 2020 zerstörte die Rosskastanie, die bis dahin der Blutbuche Schatten spendete. Weil bei den Blutbuchen die Saftbahnen direkt an der dünnen Rinde verläuft, und bei intensivem Sonnenschein austrocknen könnten, soll die Farbe wie Sonnencreme wirken“, erzählt Wolfgang Schürmann. Er bewundert jedes Jahr die quietschroten Blätter der 120-jährigen Blutbuche. Ihr Umfang beträgt fünfeinhalb Meter. Hoffen wir, dass die Sonnencreme der Blutbuche wirkt und dass die Münsteraner noch lange in ihrem Schatten sitzen – unter einem der vielen kleinen Naturwunder auf und in der Nähe der Promenade.