Nachhaltig & Regional
Weitgereist und echt geerdet
erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 113 (Mai 2022)
„Wo soll ich anfangen?“ – diese Frage stellen sich wohl alle, die spontan über ihren Lebensweg berichten sollen. Horst Pietsch, von uns bei der ersten Kontaktaufnahme an einem ganz normalen Markttag an seinem Stand angesprochen, lächelt. Denn er hat echt schon viel erlebt in seinem nun 81-jährigen Leben.
1940 in Winzig bei Breslau geboren, ist er Münsterländer seit seinem sechsten Lebensjahr. Mit 14 ging es in die Lehre als Maschinenbauer, das bedeutete: eine 48-Stunden-Woche, denn auch samstags wurde gearbeitet. Hart gearbeitet. Ab 1959 wurde Horst Pietsch durch seine zuhause im Münsterland erlernte Maschinenbau-Kompetenz in die Welt hinaus geschickt. Fast sechs Jahre lang war er in seinen frühen Zwanzigern im europäischen Ausland unterwegs, um Webmaschinen zu warten, zu reparieren, um Menschen für deren Bedienung anzuleiten und um sein Können an Ort und Stelle einzusetzen. Kaum 25-jährig, wurde der Radius für ihn noch weiter gezogen: Von 1965 bis 1970 bereiste er auf Montage Ostpakistan, Südafrika, Südamerika, Mexiko, die USA, Marokko und Teheran, dies noch zu Schah-Zeiten. Allein die Geschichten und Erlebnisse aus diesen fünf Jahren dürften locker einige Bücher füllen, aber wir kürzen hier ab, denn „meine beste Zeit begann dann“, so Horst Pietsch.
Denn von Pakistan aus durfte Horst Pietsch 1970 über Weihnachten Heimaturlaub in Deutschland einplanen, entschied sich aber für eine kleine Urlaubs-Reise nach Thailand. „Und dann begann der Himmel auf Erden“, strahlt der weitgereiste Emsdettener, „denn durch einen Zufall lernte ich in diesen Weihnachtstagen in der Nähe von Bangkok meine Frau Anong kennen“. Seit über 50 Jahren sind die beiden nun ein Ehepaar und gemeinsam in Emsdetten zuhause.
„Ich war so fasziniert von den Webmaschinen, die ich so viele Jahre mit konstruiert und betreut hatte, dass ich später anfing, eigene Modelle zu bauen“, erzählt Horst Pietsch und begann mit seiner Frau auch das Weben von Teppichen. Das war in der Zeit der Familiengründung, Tochter und Sohn wurden Anfang/Mitte der 1970er Jahre geboren. „Wir suchten nach einem Vertriebsweg und starteten auf Münsters Promenadenflohmarkt. 1980 ging es dann auf dem Wochenmarkt weiter – den damaligen Wollboom nahmen Anong und Horst Pietsch parallel voll mit und waren auf dem Markt für ihre tollen Materialien und für die gute Beratung bekannt. Dann ebbte der Stricktrend ab, etwas Neues musste her. Und aus den ersten paar Minzpflanzen aus dem eigenen Garten ist heute ein handverlesenes Staudenparadies geworden, Stammkunden schätzen die kräftigen und blühfreudigen Exemplare vom Stand des immer gut beschäftigten Paares – und Horst Pietschs Ehefrau Anong hat, wie er sagt, den berühmten „grünen Daumen“.
Für Kinder bieten sie Fellschühchen mit besonders langem Strickschaft („unabstrampelbar“) und niedliche Wärmflaschen in Tierform an, individualisiert durch von Anong gestrickte Halstücher. Das Spektrum dieses Marktstandes ist schon recht abwechslungsreich. „Hat sich alles so ergeben, wie mein ganzes Leben“, lacht Horst Pietsch und hantiert schon weiter. Seine selbstgebauten Webmaschinen sind heute in Marokko im Einsatz. Und auf dem Markt werden wir ihn auch mit 80plus weiter antreffen und wünschen ihm, dass sich seine Einstellung und seine gute Gesundheit („40 Marktjahre ohne einen einzigen Krankheitstag!“) weiter so fortsetzen.