Kunst & Kultur
MIT HAUS UND HOF UND KESSEL
erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 115 (Juli/August 2022)
Es hat sich was getan am Gasometer am Boelckeweg, direkt an der B51. Das Gelände um die weithin sichtbare Landmarke des orangenen Kesselgerüsts, die seit mehreren Jahren nur noch spärlich genutzt wurde, hat neue Untermieter gefunden. Der gemeinnützige Verein sozialpalast möchte dort seit März 2021 ein niedrigschwelliges, kulturelles Angebot für alle auf die Beine stellen, die Lust auf Kultur und Austausch haben, ganz gleich wie groß oder klein der Geldbeutel ist. Janis Ester ist im Verein aktiv, als sich die Idee des Veranstaltungsortes herauskristallisiert. Mit anderen motivierten Mitstreiter:innen aus Kultur, Geographie und Recht auf Stadt-Bewegung war Janis seit der ersten Stunde am „gazo“, wie der Verein das Projekt nennt, dabei. Der Verein engagiert sich im Kulturbereich und sieht sich selbst als Verfechter von kritischer Stadtentwicklung. Einen Kulturraum wie das Gazo gab es in Münster vorher nicht, weshalb das Projekt als spannende Herausforderung wahrgenommen wurde.
„Wir wurden von verschiedenen Seiten auf die Freifläche aufmerksam“, erzählt Ester aus den Anfangstagen. „Das Areal lag bereits seit 20 Jahren brach und wurde kaum genutzt. Das war der ideale Standort für ein gemeinnütziges Projekt“, sagt Ester. Ein Projekt, dessen Größenordnung sowohl Ehrgeiz wie auch Bedenken zu Tage brachte. „Wir hatten erst gar keine Vorstellung, wie wir das riesige Gelände bewirtschaften sollen. Niemand von uns hat so etwas vorher gemacht und hatte den perfekten Plan in der Tasche“, gibt der Aktivist zu. Bis das Projekt in trockenen Tüchern war, strich einige Zeit ins Land, in der mit vielen Parteien verhandelt werden musste, denn das Gelände gehört der Stadt Münster, bewirtschaftet wird es von den Stadtwerken. Der Gasometer mit dem dazugehörigen Technikhaus sicherte früher die Gasversorgung der Stadt. Als das Versorgungssystem auf Gasleitungen umgestellt wurde, hatte der Gasometer keinen Nutzen mehr.
Das Gelände diente fortan gelegentlich für Veranstaltungen aller Art, wie dem Theater Titanick oder Kletterveranstaltungen des Deutschen Alpenvereins. Vor allem aber verursachte es Kosten im fünfstelligen Bereich durch die Instandhaltung der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude. Mit einer Vermietung eröffnete sich für die Stadtwerke und die Aktivist:innen eine Win-Win-Situation. Mit dem Hansaforum und öffentlichen Kulturförderungen als Geldgeber im Hintergrund konnte der Verein das Areal für ein Jahr mieten – die Stadtwerke bleiben nicht mehr auf den Kosten sitzen und der Verein hatte einen Ort für sein Projekt gefunden. Allerdings wurde schnell klar: Hier muss einiges getan werden. In mühsamer Kleinarbeit wurden Flächen gesäubert, kubikmeterweise Brombeersträucher zurückgeschnitten und das Gelände zu einem nutzbaren Ort umgestaltet. So findet sich neben dem Technikhaus nun eine Terrasse, die liebevoll das „Hackschnitzelparadies“ genannt wird, mit allerhand Gartenmobiliar und Sitzgelegenheiten. Im anderen Bereich des Gartens sind gemeinsam genutzte Hochbeete, an der selbstgebauten Theke gehen Getränke auf Spendenbasis über selbige. Das alles hergerichtet in unzähligen Arbeitsstunden, die in das Projekt geflossen sind, auf freiwilliger Basis, wie Janis Ester betont. „Wir mussten natürlich einiges an Zeit investieren, um das Gelände herzurichten. Das haben viele fleißige Hände neben Uni und Job in ihrer Freizeit geschafft.“ Freiwilligkeit ist eins der großen Maxime, die sich das Gazo-Kollektiv gesetzt hat: Alle geben so viel wie sie können und Lust haben. Das nimmt einen großen Stellenwert im Selbstverständnis ein.
„Wir möchten einen Prozess mit der Stadtgesellschaft anstoßen.“ JANIS ESTER
Als das Gelände vorzeigbar gemacht wurde, konnte das Kollektiv im Sommer 2021 die feierliche Eröffnung mit einem Tag der offenen Tür begehen, bei dem sich alle Interessierten ein Bild vom neuen „offenen Raum“ machen konnten. Mit kalten Getränken wurde bei strahlendem Sonnenschein auf eine ungewisse Zukunft angestoßen, denn im Hintergrund wanderten bereits die ersten Gedanken wieder an den im Winter auslaufenden Vertrag. Die Stadtwerke gewährten dem Kollektiv nur gut ein dreiviertel Jahr Zeit für ihre Vision eines offenen Kulturzentrums. Zu wenig für das Kollektiv, wie Janis Ester erklärt. „Wir hätten natürlich gerne eine dauerhafte Perspektive um den Ort wachsen und unsere Ideen weiterentwickeln zu lassen. Da spielen aber verschiedene Faktoren mit rein, denn die Stadtwerke haben auch Pläne für das Gelände entwickelt.“ So wurde bereits früh darüber debattiert, den Kessel für eine gewerbliche Nutzung, beispielsweise mit einem Büroturm, freizugeben, was zu hitzigen Diskussionen im Stadtrat führte. Eine kommerzielle Nutzung würde dem Gazo-Kollektiv den Raum nehmen, die Stadtwerke sehen dort aber großes Potential. Entscheiden werden dies wieder andere Instanzen, auf die das Gazo-Kollektiv nur mit einer geschaffenen Öffentlichkeit reagieren kann.
Nach dem ersten halben Jahr mit Veranstaltungen komplett diverser Art, vom Kindertheaterstück bis zum Kneipenabend mit Punkmusik-Beschallung, verabschiedete sich das Gazo-Kollektiv im Dezember 2021 mit der bisher größten Veranstaltung in eine ungewisse Zukunft. Ein gemeinsam mit verschiedenen Kulturschaffenden organisierter Wintermarkt sollte der fulminante Abschluss sein. Auf dem Gelände kamen an zwei Tagen jeweils über 300 Menschen zusammen um bei Glühwein und Livemusik zu feiern. Der Andrang wurde teilweise so groß, dass Menschen vor den Toren ausharren mussten, damit die maximale Besucher:innenanzahl nicht überschritten wurde. Das buntgemischte Publikum freute sich dennoch über zwei gelungene Abende. Für Ester ist das auch ein Zeichen dafür, dass der Ort als Begegnungsstätte funktioniert und das Projekt viele neugierige Menschen anzieht.
Nach dem gelungenen Jahresabschluss beginnt der nervenaufreibende Teil für das Kollektiv, denn es gilt eine Vertragsverlängerung zu gewinnen. Im Stadtrat wird mehrfach über das Gelände debattiert, zwischenzeitlich soll ein Investor:innenwettbewerb für eine möglichst gewinnbringende Nutzung veranstaltet werden. Am Ende kommt es zu keiner Einigung, weshalb es im März dieses Jahres gute Nachrichten zu verkünden gibt. Bis zum Winter 2022 wurde ein neuer Nutzungsvertrag gewährt. Nicht die langfristige Perspektive, die sich das Kollektiv gewünscht hat – aber ein Anfang. Eine zukunftsorientierte und dauerhafte Nutzung würde vor allem den Prozess des Kulturorts weiter voranbringen, so Ester, der wie das Gazo-Kollektiv noch viel vorhat. „Ziel ist es nicht, dass der Ort irgendwann fertig wird. Wir möchten einen Prozess mit der Stadtgesellschaft anstoßen und den Raum für kulturelle Nutzung, Begegnung und gemeinsame Tätigkeit sein. Die Ausrichtung der Fläche soll baulich nicht festgelegt sein. Stattdessen soll Platz für neue Impulse und Anregungen geschaffen werden.“ Dazu braucht es immer frische Ideen, die neue Interessierte in den Raum tragen, das soll so niedrigschwellig wie möglich passieren, betont Ester.
„Grundsätzlich darf jeder bei unseren Öffnungszeiten vorbeischauen und sich ein Bild machen. Dann kann jede:r selbst entscheiden, ob nur in Ruhe eine Limo getrunken oder gleich zur Tat geschritten werden soll“, so Ester. Wer dann Lust hat sich längerfristig am Gasometer zu engagieren, bekommt erfahrene Mentor:innen zur Seite gestellt, die die Integration vereinfachen sollen. Danach können alle, die es wollen, je nach ihrem Gusto in verschiedenen AGs mitarbeiten. Von Teams für den Social Media Auftritt bis zur Finanz-AG gibt es vielfältige Möglichkeiten, wie Interessierte aktiv werden können. Eine wichtige AG, betont Ester, sei die Programm AG, die mit ihren Veranstaltungen regelmäßig Leben auf das Gasometer-Gelände bringt. So findet immer zum letzten Wo- chenende im Monat der Hansa Flohmarkt auf dem Gazo-Gelände statt, und eine regelmäßige Pflanzentauschbörse ist ebenfalls im Programm integriert. Dazu kommt ein bunter Mix aus Konzerten, Vorträgen und Kunstausstellungen, die ganz nach Vorliebe des Gastes eine passende Veranstaltung bereithält. Ebenfalls fand ein Nachbarschaftscafé statt, bei dem das Gazo-Kollektiv mit der Nachbar:innenschaft in Kontakt trat. Dabei sollte der Anschluss an das benachbarte Viertel gefunden werden um gemeinsam an einer Nutzung des Geländes zu arbeiten. Denn es geht nur im Dialog, sagt auch Janis Ester. „Die meisten Leute waren uns gegenüber sehr aufgeschlossen, und wir freuen uns über ehrliches Feedback. Sollte mal ein Konzert zu laut sein, arbeiten wir natürlich daran, beim nächsten Mal ein anderes Konzept auszuprobieren, damit es die Anwohner:innen nicht stört“.
Die Programmplanung wird immer wenige Wochen im Voraus auf die Beine gestellt. „Wir haben einen Telegram-Kanal eingerichtet, auf dem wir über anstehende Veranstaltungen informieren. Dazu gibt es neben einem Instagram-Account auch die Möglichkeit auf unserer Internetseite gazometer.space vorbeizuschauen“, empfiehlt Ester. „Woran wir gerade arbeiten, darf ich noch nicht verraten, aber wir versuchen gerade, ein noch breiteres Programm zu entwickeln, was möglichst viele Menschen anspricht“. Ein fulminantes Programm für den Sommer und Herbst, welches also in den Startlöchern steht. Wenn es nach den Aktivist:innen des Gazo-Kollektivs geht, soll das nicht der letzte Sommer bleiben. Im Herbst beginnen die nächsten Verhandlungen für eine Vertragsverlängerung.