Verkaufsraum Fahrrad XXL Hürter Verkaufsraum Fahrrad XXL Hürter
Foto: Peter Leßmann

Sport & Freizeit

Das Rad neu erfinden

Zuerst erschienen im MÜNSTER! Magazin #109 (Januar 2022).

Das Fahrrad feierte gerade seinen 100. Geburtstag, als Fritz Hürter sich 1917 dazu entschloss, ein kleines Geschäft an der Hammer Straße zu eröffnen. Bei Zweirad Hürter gab es – wie damals üblich – nicht nur Fahrräder zu kaufen, sondern auch Nähmaschinen, kleine Haushaltsgräte, Telefone und Radios. Fritz Hürter konnte damals noch nicht ahnen, dass er mit Zweirad Hürter den Grundstein für einen Fahrradfachhandel legte, der eines Tages zu den ganz Großen in Deutschland gehören würde. Heute, über 100 Jahre später, wird das Geschäft von Fritz Hürters Enkeln Peter und Karsten geführt, und auch die Urenkel in der vierten Generation wirken schon tatkräftig mit. Mit inzwischen rund 2.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, über 80 Mitarbeitern und etwa 5.000 vorrätigen Rädern und E-Bikes hat sich das Familienunternehmen Fahrrad XXL Hürter – so der heutige Name – zu einer festen Größe der münsterschen Wirtschaftsgeschichte entwickelt.

Doch bis dahin war es ein langer Weg. Nachdem das Geschäft in den 1920er und 1930er Jahren gut anlief, bedeutete der Zweite Weltkrieg in doppelter Hinsicht eine große Umwälzung für Zweirad Hürter. Fritz Hürter starb 1943, woraufhin Ehefrau Auguste die Geschäfte alleine weiterführte, bis der Standort schließlich im Bombenhagel vernichtet wurde. Es begann ein beschwerlicher Wiederaufbau in der Nachkriegszeit, in der Fritz’ und Augustes Sohn Horst seiner Mutter immer mehr zur Seite stand und die Geschäfte schließlich vollständig übernahm. Von da an erfasste das Wirtschaftswunder auch Zweirad Hürter, und es begann eine Reihe von Vergrößerungen und Erweiterungen des Geschäfts, sodass ab 1960 auch Motorräder und Mopeds zum Angebot gehörten.

Hürter 20er Jahre Foto: Hürter privat
In den 1920er und 1930er Jahren war Zweirad Hürter ein kleines Geschäft, in dem es neben Rädern auch Radios und Nähmaschinen zu kaufen gab. Fritz Hürter führte den Laden, bis er 1943 verstarb und seine Ehefrau die Geschäfte übernahm.
Hürter nach dem Krieg Foto: Hürter Privat
Nach dem Krieg wurden die zerstörten Geschäftsräume von Zweirad Hürter an der Hammer Straße mühsam wieder aufgebaut. Die Aufnahme zeigt das Geschäft um 1950, bevor Deutschland vom Wirtschaftswunder erfasst wurde und Hürter expandierte.

FRÜH ÜBT SICH 

Wie in Familienunternehmen üblich, wuchsen Horst Hürters Söhne Peter und Karsten – die heutigen Geschäftsführer – quasi im Betrieb auf. „Wir haben über dem Geschäft gewohnt, nach dem Mittagessen haben wir unten im Büro unsere Schularbeiten gemacht, und dann durften wir spielen gehen. Wenn wir uns ein paar Pfennige Taschengeld verdienen wollten, haben wir im Laden geholfen“, erinnert sich Peter Hürter. So rutschten die beiden früh ins Familienbusiness und absolvierten nach der Schule entsprechende Ausbildungen – Peter im kaufmännischen, Karsten im gewerblichen Bereich. „Karsten hat also auch den technischen Hintergrund, während ich mit meinen zwei linken Händen eher die Rechenmaschine bediene“, erklärt Peter die Aufgabenteilung lachend. Auch die Ehefrauen der beiden Geschäftsführer sind mit an Bord – obwohl sie aus anderen Bereichen kommen, sind sie früh ins Unternehmen eingestiegen. Sie kümmern sich um Buchhaltung und Kleidungseinkauf – bei Hürter gibt es neben Rädern nämlich auch die passende Bekleidung und diverses Zubehör. Dass die ganze Familie im Betrieb arbeitet, sei wichtig für das gegenseitige Verständnis für das Engagement und die Arbeitszeiten: „Wir kennen keine klassischen Nine-to-Five-Arbeitstage, haben eine Sechs-Tage-Woche, müssen immer vor Ort sein – wenn man selbst in einem anderen Bereich arbeitet, ist es schwer, dafür Verständnis aufzubringen“, so Peter. Und so ist auch die nächste Generation schon dabei, in die seit über 100 Jahren bestehenden Fußstapfen zu treten: Peters und Karstens Söhne Malte und Christian sind nach ihren Ausbildungen bereits fest im Betrieb, und auch die jüngeren Kinder werden wohl mittelfristig im Familienunternehmen landen, vermutet Geschäftsführer Peter.

Hürter Foto: Peter Leßmann
Hürter Foto: Peter Leßmann
Wie die Väter, so die Söhne: Christian Hürter (unten), Sohn von Geschäftsführer Karsten (oben), ist bereits fest mit im Betrieb und bildet damit die vierte Generation des Familienunternehmens.

WEG ZUM ERFOLG: MUTIGE ENTSCHEIDUNGEN 

Doch von der Zukunftsmusik zurück zur Geschichte: 1978 wurde der Platz aufgrund des rasant wachsenden Angebotes wieder einmal knapp und die Entscheidung für eine abermals vergrößerte Niederlassung – am heutigen Standort an der Hammer Straße 420 – wurde gefällt. „Das Grundstück war damals brachliegend. Hier waren ein Urwald und eine verfallene Bauruine, sonst weit und breit nichts – Berg Fidel war gerade erst im Entstehen“, berichtet Peter. Die Entscheidung der Hürters, mit einem so großen Zweirad- Fachgeschäft – seinerzeit das zweitgrößte in der Bundesrepublik – an den Stadtrand zu ziehen, wurde in der Branche kritisch aufgenommen. „Viele haben gefragt, ob wir verrückt sind, unsere Top-Innenstadtlage aufzugeben. Es waren zwar ‚nur‘ 3,5 Kilometer, aber für damalige Verhältnisse war das eine gigantische Entfernung.“ Doch die Hürters waren risikofreudig, nicht nur bei der Wahl der Lage: Als Pioniere im Fahrradeinzelhandel führten sie erstmalig die Selbstbedienung ein – bis dato unvorstellbar, sahen doch Fahrradläden klassischerweise so aus, dass ein Verkäufer im blauen Kittel hinter der Theke stand und fragte, was der Kunde gerne hätte. Doch der Wagemut zahlte sich aus: Die Kunden hatten nun am neuen Standort Platz genug, um sich alle Räder frei anzuschauen, und die Selbstbedienung kurbelte die Kauflust an. Gleichzeitig wuchs die Auswahl, Räder wurden immer spezieller. „Früher gab es ein Herrenrad ohne Schaltung, eins mit drei Gängen und vielleicht noch ein besseres – das war’s. Das ist heute natürlich gravierend anders“ so Peter. Diese Entwicklung führte erneut zu Platznot, sodass der Standort noch einmal vergrößert wurde und Hürter sich 2001 schließlich vom Motorradbereich trennte, um sich komplett aufs Fahrrad zu konzentrieren.

Hürter Foto: Peter Leßmann
Bevor Kunden sich für ein Fahrrad entscheiden, können sie es auf der Teststrecke im Geschäft ausprobieren. Geschäftsführer Peter Hürter (oben) demonstriert den größten Trend der letzten Jahre: das E-Bike. Auch sein Sohn Malte (unten) arbeitet im Familienbetrieb.
Hürter Foto: Peter Leßmann

SCHLARAFFENLAND FÜR DEN FAHRRADHANDEL? 

Ein Fahrradfachhandel in einer Fahrradhochburg wie Münster: „Das halten viele Kollegen für das Schlaraffenland“, verrät Fahrradexperte Peter. Doch in der Praxis sehe das anders aus. Gerade weil in Münster 40 Prozent aller Fahrten mit dem Fahrrad zurückgelegt werden und jeder Münsteraner im Schnitt zwei Räder besitzt, ist der Markt hier sehr umkämpft – über 60 Fahrradhändler stehen in Münster miteinander im Wettbewerb. Peter hat noch eine andere Erklärung, warum der Markt in Münster speziell und nicht zwangsläufig beneidenswert ist: „Durch die vielen Fahrräder ist die Grundversorgung bereits da – kaum jemand hier hat kein Rad. In anderen Regionen gibt es also viel mehr Steigerungspotenzial, ausgehend von einem niedrigeren Niveau.“ Doch ein Radler- Standort wie Münster hat auch seine Vorteile: Hier gibt es eine deutlich flachere Saisonkurve als in anderen Regionen, weil Münsteraner das Rad das ganze Jahr über benutzen – und nicht nur bei heiter Sonnenschein. Trotzdem ist nachvollziehbar, dass Münsteraner aufgrund der hohen Grundversorgung an Rädern eher Bedarf an Ersatzmaterial haben – oder an einem Wechsel vom Fahrrad aufs E-Bike. 

Tatsächlich: Das E-Bike, das verkaufstechnisch den wohl größten Trend der letzten Jahre darstellt, ist mittlerweile auch in Münster angekommen. Auch hier hat Peter Hürter mit seiner langjährigen Erfahrung in der Fahrradbranche eine Erklärung dafür parat, dass die Münsteraner sich anfangs scheuten, zur elektrischen Unterstützung zu greifen: „In Münster fahren die meisten freiwillig, also aus Überzeugung, Fahrrad. Weil es das vernünftigste Verkehrsmittel ist, weil man etwas für die Gesundheit und die Umwelt tut und die Stadt von den Entfernungen gut dafür geeignet ist.“ Wer so vom Radeln überzeugt sei, tue sich mit dem Gedanken an ein E-Bike erst einmal schwer. Doch gerade sind es mehr und mehr, die die elektrische Variante ausprobieren – seien es Berufspendler, um entspannt zur Arbeit zu kommen, oder Familien, denen ein E-Bike die Fahrt mit Kindern und Wochenendeinkauf im Anhänger erleichtert. „Und wer einmal mit dem E-Bike-Virus infiziert ist, steigt nicht mehr ab“, weiß Peter aus eigener Erfahrung.

Hürter Foto: Peter Leßmann

LEIDENSCHAFTLICHE MITARBEITER 

Apropos Virus: Die Fahrradbranche ist wohl eine der wenigen, der die Pandemie nicht geschadet, sondern wirtschaftlich sogar in die Karten gespielt hat. Dass sich Menschen bei hohen Inzidenzen ungern in volle Busse drängten, bei geschlossenen Fitnessstudios trotzdem nicht auf Bewegung verzichten wollten und dass bei gestrichenen Auslandsflügen Radreisen innerhalb von Deutschland attraktiver wurden, hat dem Fahrradmarkt einen weiteren Boom beschert. Auch Themen wie Klimaschutz und Verkehrswende lassen vermuten, dass die Branche in den nächsten Jahren gut beschäftigt sein wird. Schon jetzt sorgt die hohe Nachfrage für teilweise lange Lieferzeiten. Auch bei Fahrrad XXL Hürter stehen die Zeichen weiter auf Wachstum: „Wir werden weiter investieren und ausbauen – gerade bauen wir ein neues Lager, weil unseres aus allen Nähten platzt“, verrät Geschäftsführer Peter. 

Er selbst will sich aber bald, wenn die Kinder den Laden im Griff haben, langsam zurückziehen und sukzessive ein bisschen kürzertreten. „Nach 50 Jahren mit Sechs-Tage-Woche freue ich mich drauf, an einem Samstag auch mal auf den Markt zu gehen und bei Stuhlmacher ein Bier zu trinken!“, lacht der Familienvater. Die vierte Generation der Hürters und die anderen Mitarbeiter – viele davon seit über 20 Jahren im Betrieb – werden das schon wuppen, da ist Peter sich sicher. Das sei das Tolle bei Hürter: „Fast jeder, der hier arbeitet, brennt auch privat für Fahrräder. Das ist für unsere Leute nicht nur Beruf, sondern auch Hobby und Leidenschaft – das motiviert natürlich und sorgt für großes Engagement bei der Arbeit.“ Dass es an Engagement in dem traditionsreichen Familienunternehmen seit vier Generationen nie gefehlt hat, macht die Erfolgsgeschichte von Hürter deutlich. Und lässt ahnen: Sie ist noch längst nicht vorbei.

Hürter Foto: Peter Leßmann
Der heutige Standort ist nicht mehr mit dem kleinen Lädchen zu vergleichen, das Fritz Hürter 1917 eröffnete. Mit rund 2.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zählt Hürter heute zu den ganz großen Playern der Fahrradbranche.

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