In der Kapperei In der Kapperei
Foto: Paul Popanda

Gesundheit & Schönheit

Rock´n´Roll und ganz viel Bart

Hier bleibt der Blick auf jeden Fall hängen: Poster aus der Kunstszene, Bilder von Johnny Cash und Elvis Presley, sowie alte Möbel und Vintage-Utensilien schmücken das Schaufenster und machen neugierig, was sich dahinter verbirgt. Tattoostudio, Musikgeschäft oder Friseur? Der Schriftzug Meister Thomsens Kapperei gibt einen ersten Hinweis. Mit ein bisschen Masematte Know-how lässt sich das Handwerk schnell entschlüsseln: Kapper bedeutet in der münsterschen Lokalsprache Masematte „Friseur“. 

Der gebürtige Münsteraner Gunnar Thomsen hat sich hier 2014 einen bunten Rockabilly-Traum erfüllt: Ein Friseursalon der ganz besonderen Art, angelehnt an die Barbershop-Kultur der 1950er Jahre. Nachdem er viele Jahre dem Studium und der Musik widmete, hängte er seine akademische Laufbahn an den Nagel, um eine Friseurausbildung zu beginnen. „Meine Mutter hat erzählt, dass ich als Dreijähriger schon die Haare der Babysitter bearbeitet habe. Mit 13 Jahren habe ich dann mehr schlecht als recht meinen Freunden mit dem Bartschneider meines Vaters Frisuren gemacht“, erzählt Thomsen. „Das war schon immer das, was mich neben der Musik am glücklichsten gemacht hat“, ergänzt er. Nach Abstechern nach Hamburg, Oldenburg, Duisburg und Denver kehrte er mit seinem Meisterbrief zurück nach Münster, um das Gelernte in der Selbständigkeit umzusetzen.

Gunnar Thomsen Foto: Paul Popanda
Der gebürtige Münsteraner Gunnar Thomsen hat sich hier 2014 einen bunten Rockabilly-Traum erfüllt: Ein Friseursalon der ganz besonderen Art, angelehnt an die Barbershop-Kultur der 1950er Jahre.
Vor dem Spiegel in der Kapperei Foto: Paul Popanda
Arbeitsplatz, Wohnzimmer, Treffpunkt: Die Kapperei ist auch Ort für Gespräche.

VOM ANTIKEN BADEHAUS ZUM ANGESAGTEN BARBER-SHOP

Nicht jeder männliche Friseur ist automatisch ein Barbier, denn auch diese Kunst muss perfekt gelernt sein. „Früher wurde das Herrenfach stark vernachlässigt, weil Männer nur einen geringen Umsatz der gesamten Branche ausgemacht haben“, erzählt Thomsen von seiner Ausbildungszeit. Ursprünglich arbeiteten Barbiere in der Antike in öffentlichen Badehäusern. Dort stand nicht nur die Körperpflege im Mittelpunkt, sondern auch die Behandlung von Krankheiten. „Damals wurden hier zum Beispiel auch Zähne gezogen“, so Thomsen. 

Heute sieht das alles natürlich ganz anders aus. Das damalige Berufsbild hat sich zum klassischen Herrenfriseur entwickelt, der im Falle eines Barbers auch die Kunst der Rasur und Bartpflege beherrscht. Lange Zeit haben sich Friseursalons aber weitestgehend rund um die Bedürfnisse der Frau aufgestellt. Verständlich, wenn die Umsätze einer Kundin weit über dem liegen, was die Herren für Haar- und Bartschnitt bezahlen. Heutzutage ist es anders und die Azubis lernen in der Berufsschule viel mehr über das spezielle Handwerk des Barbiers. Es käme aber laut Thomsen auch darauf an, ob in den Salons jemand vor Ort sei, der das Fach adäquat bedienen und weitergeben könne. Mit der Zeit sei das Wissen ein Stück weit verloren gegangen, weshalb kaum noch jemand wisse, wie man richtig rasiert. Ein Vorteil: „Heutzutage mischen wir viele Elemente verschiedener Epochen und Styles, um unsere eigene Handschrift zu entwickeln“, so Thomsen.

ROCK‘N‘ROLL UND POMPADOUR

In der Kapperei geht es natürlich in erster Linie um traditionelle Haarschnitte der 1950er und coole Bartfrisuren, aber das gesamte Ambiente macht das Ganze erst zu einem authentischen Erlebnis. Den Kunden erwartet eine Musikecke mit Klavier, geschmückt von zahlreichen Schallplatten und CDs. Wenn man Glück hat, macht irgendwer hier gerade Musik. Eine alte Kuckucksuhr und Geweihe hängen neben Longboards und Caps an den Wänden und bunt gemischte Sticker auf jeder freien Ecke eines Spiegels stechen ins Auge. Hier findet man noch authentische Vintage-Barberstühle oder Friseurstühle mit Krokodilmuster, alles Sammlerstücke vom Inhaber persönlich zusammengestellt. Was sich zunächst nach einer wilden Mischung anhört, ist aber das Geheimrezept der Kapperei. 

„Ehrlich!“, beschreibt Thomsen seinen Laden mit nur einem Wort. Er wolle nämlich kein bestimmtes Gefühl vermitteln, sondern das Ganze sei einfach sein Stil. Die Musik der 1950er hat hier nicht nur einen großen Einfluss auf die Einrichtung der Kapperei, sondern auch auf die Styles der Frisuren. „Wir hören viel Rock’n’Roll, aber der Einfluss der 1950er kommt eher durch das eigentliche Lebensgefühl dieser Zeit“, erklärt Thomsen. Als Vorbild der Frisuren steht der King of Rock’n’Roll Elvis mit seiner berühmten Tolle an oberster Stelle. Pompadour, Bombage, Facon, oder Ducktail à la Frank Sinatra: Traditionelle Haarschnitte im Retro-Style der Fifties leben hier wieder auf. „Der Pompadour ist der klassische Herrenhaarschnitt: der Nacken wird von 0 Millimeter an kurz geschnitten und dann mit Längenzunahme nach oben. Dann wird die Tolle eingearbeitet. Wie beim jungen Elvis eben“, erklärt Thomsen den verbreiteten Pompadour-Haarschnitt, die Grundlage von klassischen Rockabilly-Frisuren. 

„Am häufigsten wird bei uns der Razorfade bzw. der razorfaded Pompadour angefragt. Hier werden die Haare an den Seiten komplett mit dem Messer wegrasiert und der Übergang zu den Haaren verläuft in etwa auf der Hutlinie“, ergänzt Thomsen die Bandbreite der Rockabilly-Frisuren. Die Kapperei zeigt, wie verschiedene Künste sich beeinflussen und ein ganz bestimmtes Lebensgefühl erwecken können. Musik wird gespielt, Bilder und Kunstwerke betrachtet, Tattoos präsentiert und Haar und Bart gestylt: ein buntes Potpourri der Kreativität.

Der Barber am Kunden Foto: Dario Ronge
Eine bunte Mischung aus Retro-Möbeln und hippen Details sorgen für eine authentische Atmosphäre und machen den etwas anderen Friseurbesuch perfekt.
„ Ich sage immer gerne, mein Laden ist ein Social Hub. Mit den Geschichten von hier könnten wir Bücher füllen.“ GUNNAR

DER HYPE UM DEN BART

Die Bereitschaft der Männer sich zu pflegen und dafür einen Barbershop aufzusuchen, ist in den letzten Jahren immens gestiegen und salonfähig geworden. „Die Industrie hat marketingtechnisch den Männersektor für sich entdeckt und Herrenkosmetik zu etwas Alltäglichem gemacht“, erklärt Thomsen die Veränderung. Gerade in einer stressigen Alltagswelt suchen nicht mehr nur Frauen eine Auszeit, sondern auch Männer. So sei der kleine Urlaub beim Barbier wieder in den Vordergrund gerückt. „Man kann sich ja auch mal betüddeln lassen. Dazu ein lockeres Gespräch, ein Getränk und man ist entspannt!“, so Thomsen. Doch auch der Druck der Gesellschaft nach Schönheit und Perfektion spielt eine Rolle. War der Vollbart zunächst ein Markenzeichen von Hipstern und Nerds, ist er mittlerweile überall zu sehen. Somit hält der Bart-Boom weiter an und verschafft den Barbershops neue Kundschaft.

HOBEL, PINSEL UND POMADE

Traditionelle Techniken fordern klassisches Werkzeug. Ob Schere oder Maschine, hier hat jeder seinen eigenen Style. „Wichtig ist nur, dass man sich der Vor- und Nachteile jedes Werkzeugs gewiss ist, damit keine Fehler unterlaufen“, erklärt Thomsen. Was nicht fehlen darf sind Hobel, Pinsel, frische Klingen, Bartöl und Pomade. In der Kapperei wird die Bartrasur zu einem Ritual gemacht. „Nachdem der Bart zurechtgeschnitten wurde und sich der Kunde zurückgelehnt hat, wird die zu rasierende Region mit Öl behandelt. Im Anschluss folgen heiße Kompressen. In der Zwischenzeit wird der Rasierschaum frisch geschlagen und das Messer vorbereitet. Nach der Rasur wird der restliche Schaum mit einer kühlen Kompresse abgenommen und die Haut mit Aftershave nachbehandelt, um den pH-Wert der Haut wieder herzustellen“, erläutert Thomsen die aufwendige Prozedur. Das absolute Muss für die Rockabilly Tolle: klebrige Haarpomade! Hiermit wird das Haar erst so richtig geformt oder geglättet und erhält den typischen Glanz der 1950er Jahre Frisuren. Das fünfköpfige Team der Kapperei steckt all seine Begeisterung und viel Können in die kreativen Haar- und Bartfrisuren und versucht die Beratungen individuell anzupassen. 

Das Team der Kapperei Foto: Paul Popanda
In der Kapperei wird Teamwork groß geschrieben. Hier verbindet nicht nur die Arbeit, sondern vor allem die Freundschaft untereinander.

PUNKER, POLIZISTEN UND FRAUEN!

Aber auch ganz „normale“ Haarschnitte und der typische Smalltalk beim Friseur sind hier zu finden. Die Kapperei ist eine Art Treffpunkt der Rockabilly Szene in Münster, ein Ort für Austausch und Kommunikation. „Ich sage immer gerne, mein Laden ist ein Social Hub. Mit den Geschichten von hier könnten wir Bücher füllen“, so Thomsen. In dem wohnzimmerähnlichen Wartebereich säße der Schüler gemeinsam mit dem Punker und dem Beamten in einer Ecke und alle könnten über denselben Witz lachen. „Am Ende sind wir doch alle nur Menschen“, ergänzt Thomsen die Vielfalt seiner Kundschaft. Ihm sei besonders wichtig, dass seine Türen für alle offen sind. Das bedeutet, dass in der Kapperei auch entgegen den meisten Barbershops keine Geschlechtergrenzen gezogen werden. Das Motto „Männer unter sich“ gibt es hier grundsätzlich nicht, auch wenn der Großteil der Kunden männlich ist. „Die Frauen, die zu uns kommen, wissen, wo sie hingehen und kommen mit der etwas lockeren, ‚laissez-fairen‘ Art klar“, erklärt Thomsen seine Einstellung zum Unisex-Salon. Falls der Barbershop Hype einmal abflachen würde, hätte er somit auch ein breites Angebot anzubieten. 

Die Reichweite der Kapperei geht längst über Münsters Grenzen hinaus: Die Kunden kommen teilweise aus Köln, Hamburg oder Düsseldorf. Auch vorbeilaufende Neukunden verirren sich mal in die Kapperei. „Manchmal werden wir aber auch mit einem Tattoostudio verwechselt. Liegt wohl an der Einrichtung“, spaßt Thomsen. Die Kapperei bezeichnet Thomsen als seinen Safeplace, an dem er die meiste Zeit seines Lebens verbringt. „Auch wenn ich Stress habe, wenn ich die Tür zum Laden aufschließe, bin ich glücklich. Die eigentliche Welt fängt erst wieder an, wenn ich rausgehe“, so Thomsen.

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