Salat in Schüssel Salat in Schüssel
Foto: Adobe Stock

Menschen

Bauchweh macht erfinderisch

Zuerst erschienen im MÜNSTER! Magazin #109 (Januar 2022).

Wie so oft entstehen die besten Ideen für innovative Startups aus der eigenen Not heraus: So wurden sowohl bei Saskia Deim, Gründerin von null. (gesprochen: Nullpunkt), als auch bei Michelle Hoffffmann, Gründerin von meal&heal, Unverträglichkeiten diagnostiziert, die für beide mit einer Ernährungsumstellung und zahlreichen Herausforderungen einhergingen. Die beiden jungen Münsteranerinnen entwickelten daraufhin unabhängig voneinander zwei ganz unterschiedliche Ideen mit demselben Ziel: Menschen mit Unverträglichkeiten das Leben zu erleichtern. 

Als bei Münsteranerin Saskia Anfang 2020 eine Glutenunverträglichkeit diagnostiziert wurde, stellte sie schnell fest, dass die Ersatzprodukte aus dem Supermarkt ihr nicht schmeckten. „Ich wollte mich weiterhin gesund und ohne Zusatzstoffe ernähren – aber glutenfreie Lebensmittel enthalten oft viele Inhaltsstoffe, von denen man gar nicht weiß, was sie bedeuten.“ Sich bei jedem Einkauf die Mühe zu machen, sich damit auseinanderzusetzen – darauf hatte Saskia schnell keine Lust mehr. „Außerdem hat mir die Pizza am Sonntagabend gefehlt!“. Und so begann die Sozialpädagogin kurzerhand, selbst in der Küche aktiv zu werden und einen glutenfreien Pizzateig zu kreieren. Das sei am Anfang gar nicht so leicht gewesen. Die Schwierigkeit: „Bei Mehlmischungen kann man ja nicht jederzeit zwischendurch probieren.“ Die Teigversuche mussten also jedes Mal gebacken werden, bis sie dem Geschmackstest unterzogen werden konnten – das kostete Zeit. Saskia tauschte sie viel mit ihrer Freundin Vanessa Dartmann aus, die sich ebenfalls glutenfrei ernähren muss und sofort begeistert von der Idee war.

Vanessa Hartmann und Saskia Deim, Gründerinnen von null. Foto: null.
Vanessa Dartmann und Saskia Deim entwickelten – aus der eigenen Not heraus – eine glutenfreie Pizzabackmischung.

Irgendwann waren die beiden so zufrieden mit Saskias Teig, dass sie die Mischung mit zu ihrem Stammitaliener Casa Pazzi an der Wolbecker Straße nahmen. Inhaber Carlo war sofort bereit, den glutenfreien Pizzateig auszuprobieren. „Am Anfang war er viel zu klebrig und man konnte ihn nicht gut kneten. Glutenfreie Teige kann man nicht so leicht ausrollen, man muss sie eher wie Kleister mit einem Spachtel verteilen“, erklärt Saskia die Besonderheiten. Pizzabäcker Carlo fand trotzdem Gefallen an der Idee, brachte selbst gute Ansätze ein und testete den Teig von Woche zu Woche immer wieder – bis er zufrieden war und den beiden jungen Gründerinnen versicherte, dass man ihn nun gut verarbeiten könne. „Wir haben dann viele Freunde probieren lassen, und selbst denen, die nicht auf Gluten verzichten müssen, hat er gut geschmeckt!“ So entstand im März 2021 – nach einem Jahr Rumspinnerei am Küchentisch und zahlreichen Backversuchen – null. Die beiden jungen Münsteranerinnen haben es geschafft, einen glutenfreien Pizzateig zu entwickeln, der einfach zu verarbeiten ist, keine ungesunden Zusatzstoffe beinhaltet und nicht zuletzt richtig lecker schmeckt. Heute steht der Pizzateig im Casa Pazzi an der Wolbecker Straße auf der Speisekarte und ist als Backmischung bei Rewe am Hansaring, bei Moritz‘ Kiepe an der Wolbecker Straße und bei Homebeis an der Aegidiistraße erhältlich.

Glutenfreier Pizzateig von null. Foto: null.
Glutenfreier Pizzateig von null. wird geknetet Foto: null.
Übung macht die Meisterin: Unzählige Teige mischte Gründerin Saskia in ihrer Küche zusammen, bis die perfekte Mischung für den glutenfreien Pizzateig von null. gefunden war.

ZURÜCK ZUM URSPRUNG

Doch bei null. geht es nicht nur um Unverträglichkeiten. Das Startup hat sich auch auf die Fahne geschrieben, zum Ursprung zurückzukehren und den Bezug zu unseren Lebensmitteln wieder aufzubauen. Dazu gehört, zu wissen, was in unseren Lebensmitteln steckt und woher sie kommen. null. bemüht sich um Nachhaltigkeit und Ressourcenbewusstsein, indem bei den Zutaten auf hohe Qualität, biologischen Anbau und Regionalität geachtet wird. Neben sorgfältig ausgewählte Zutaten und Recyclingpapier bei den Etiketten umfasst dies auch jeden einzelnen Arbeitsschritt und die daran beteiligten Menschen. Der Pizzateig ist also nur ein Teil der großen Idee, eine Kultur zu leben, in der bewusster konsumiert und auf Unverträglichkeiten besser eingegangen wird. Das Feedback der Kunden sei durchweg positiv, so Vanessa, die eigentlich Kommunikationsdesignerin ist und sich um die Website und Produktgestaltung von null. kümmert. „Uns haben schon Leute, die sich seit Jahren glutenfrei ernähren, gesagt, dass das die beste Pizza ist, die sie je gegessen haben. Das so gespiegelt zu bekommen, ist toll!“

Pizza Margherita Foto: Adobe Stock
Auf die Pizza am Sonntagabend wollten die beiden Gründerinnen von null. einfach nicht verzichten. Also musste eine Lösung her, die sich mit ihren Unverträglichkeiten vereinbaren ließ.

Dass Nachhaltigkeit und Ernährungsbewusstsein im Trend liegen, ist den beiden Gründerinnen bewusst. „Aber das auch ernst zu meinen und anzupacken, ist letztendlich die Herausforderung. Wir sind den Schritt gegangen und haben die Idee dahinter sichtbar, erfahrbar und anfassbar gemacht.“ Und schmeckbar! Die Vision von Saskia und Vanessa ist es, dass auch Menschen mit Unverträglichkeiten spontan und entspannt essen gehen können. So wie es inzwischen auf fast jeder Speisekarte ein veganes Gericht gibt, sollten sich Restaurants auch auf Kunden mit Unverträglichkeiten ausrichten, findet Vanessa. Daher soll der Teig von null. langfristig auch in weiteren Lokalen angeboten werden. Bis dahin können Kunden sich die glutenfreie Pizza bei Casa Pazzi schmecken lassen oder die Backmischung im heimischen Ofen ausprobieren...

ANDERER ANSATZ, GLEICHES ZIEL

Mit einem ganz anderen Ansatz möchte ein zweites Startup Menschen mit Unverträglichkeiten und chronischen, lebensstilabhängigen Erkrankungen das Leben erleichtern: Die drei Studierenden Michelle Hoffmann, Lukas Jochheim und Stefan Wobbe entwickelten die App meal&heal – ein Ernährungstagebuch und Triggermanagement-System, das die individuellen Auslöser von Beschwerden des Nutzers herausfinden kann und darauf aufbauend Ernährungskonzepte erstellt. Gründerin Michelle erklärt die Idee: „Wir wollen für jeden Menschen die perfekte Ernährung finden und richten uns dabei vor allem an die, deren gesundheitliche Probleme durch Ernährung verstärkt oder hervorgerufen werden.“ Denn was kaum einer weiß: Neben den klassischen Lebensmittelunverträglichkeiten stehen auch chronische Krankheiten wie Rheuma, Migräne oder Neurodermitis oft im Zusammenhang mit der Ernährung.

Michelle Hoffmann, Lukas Jochheim und Stefan Wobbe, Gründer von meal&heal Foto: Sascha Thole
Michelle, Lukas und Stefan entwickelten mit meal&heal eine App, die Menschen mit Unverträglichkeiten das Leben erleichtern soll. „Wir wollen für jeden Menschen die perfekte Ernährung finden“, so Gründerin Michelle.

Wie auch beim glutenfreien Pizzateig von null. entwickelte sich die Idee zu meal&heal aus der persönlichen Lage der Gründerin: 2018 bekam Michelle nach jahrelangen Beschwerden verschiedene Unverträglichkeiten diagnostiziert. „Erstmal war ich total erleichtert, weil ich endlich wusste, woran es gelegen hat. Aber ich habe mich auch gefragt: Warum hat die Diagnose so lange gedauert?“ Von Ärzten und Ernährungsberatern fühlte sie sich schnell im Stich gelassen. „Die machen zwar einen super Job, aber sie können es zeitlich nicht leisten, sich wochenlange Ernährungstagebücher von all ihren Patienten anzuschauen und den individuellen Toleranzen genügend Beachtung schenken“, erklärt Michelle. „Ich habe dann vom Ernährungsberater drei Lebensmittellisten für unterschiedliche Unverträglichkeiten bekommen, die sich alle gegenseitig ausgeschlossen haben. Dann stand ich da und durfte quasi nur noch Reis essen.“ Von dieser Vorstellung nicht sehr angetan, begann Michelle mit dem Ökotrophologie-Studium, in dem sie mehr und mehr über Ernährung lernte, Lukas traf und die Idee zu meal&heal weiter Form annahm. Mit Unterstützung der FH erarbeiteten die beiden schließlich ein Konzept und holten sich Informatiker Stefan mit ins Boot. Das Gründungstrio war komplett und stürzte sich mit vollem Elan in die App-Entwicklung.

Handydisplay mit der App meal&heal Foto: Adobe Stock
Nutzer können in die App ihre Essgewohnheiten und Beschwerden eintragen und bekommen daraufhin ein individuelles Ernährungskonzept vorgeschlagen. Das Ganze basiert auf einer riesigen Lebensmitteldatenbank und einem eigens entwickelten Algorithmus.

UNTERSTÜTZUNG BEI PHYSISCHEN UND SOZIALEN HÜRDEN

Und so funktioniert meal&heal: Der Nutzer der App trägt wie in einem digitalen Ernährungstagebuch ein, was er zu sich nimmt und wann welche Beschwerden auftreten. Der Algorithmus der App setzt die Lebensmittel und ihre Bestandteile in Korrelation zu den Beschwerden und identifiziert so die Auslöser. Dabei greift meal&heal auf eine umfangreiche Datenbank zu, die die drei Gründer in mühevoller Arbeit selbst erstellt haben und damit Pioniere eines solchen Systems sind. „Im Durchschnitt dauert eine Diagnose bei Unverträglichkeiten elf Jahre“, so Mitgründer Lukas. Diesen Leidensweg soll die App verkürzen.

Doch mit der Identifizierung der problematischen Lebensmittel ist es nicht getan. Durch verschiedene Tools hilft meal&heal auch bei der Umsetzung des individuellen Ernährungskonzeptes. „Wir wollen den Nutzer an die Hand nehmen und gemeinsam herausfinden, wie die Ziele am besten zu erreichen und die Hürden zu meistern sind“, beschreibt Lukas die Funktionsweise. Dabei soll meal&heal die Betroffenen mental stärken und vermitteln: Niemand muss allein dadurch. Mit diesem ganzheitlichen Konzept, das auch persönliche Beratung und Hilfe von professionellen Ernährungsberatern einschließt, haben die Nutzer jederzeit jemanden an ihrer Seite, der ihnen zuhört. Denn neben den physischen Problemen haben Betroffene oft auch soziale Hindernisse zu überwinden – etwa, wenn man mit seiner Unverträglichkeit nicht ernstgenommen wird.

Seit November 2021 ist die App in der Testphase: Interessierte können sich auf mealandheal.de anmelden, die digitale Hilfestellung für ihre Unverträglichkeiten nutzen und Michelle, Lukas und Stefan Feedback dazu geben. Einfach, intuitiv und vor allem hilfreich soll die App sein, wenn sie in den Appstores frei erhältlich sein wird. Langfristig soll das Konzept von meal&heal neben der Ernährung auch weitere Lebensstilfaktoren wie Schlaf, Sport und Entspannung berücksichtigen. Bis dahin tüfteln die drei jungen Gründer weiter und verfolgen – wie Saskia und Vanessa von null. – ihre Vision: Dass Essen endlich wieder Spaß machen soll!

null-punkt.de

mealandheal.de

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