Menschen
Plümpsen, pölen und ´nen toften Lenz hegen
erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 102 (Mai 2021)
Freizeit war bis in die 1960er Jahre hinein ein knappes Gut. Gearbeitet wurde von Montag bis Samstag. Nur zwei Wochen konnte Urlaub genommen werden. Dies hat sich in der Zwischenzeit gravierend geändert.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Deutschland eine Monarchie. Kaiser Wilhelm II. regiert als Staatsoberhaupt. Unbekannt sind Fernsehen, Radio, Kino und Mobiltelefon. Autos und Telefone sind noch eine Rarität. Gearbeitet wird sechs Tage pro Woche, 60 Stunden oder mehr sind normal. Der häufigste Beruf einer Frau ist der eines Dienstmädchens – die Arbeitswelt ist männlich geprägt.
Was machten die Menschen vor mehr als 100 Jahren in ihrer Freizeit? Es gab erstaunlich viele Vereine unterschiedlichster Art und natürlich eine Großzahl an Gaststätten, Restaurants sowie Ausflugslokalen am Rande der Stadt.
Die Freizeit eines Handwerkers, eines „kleinen“ Angestellten oder Beamten ist knapp bemessen. Knapp ist auch das Geld für freizeitliche Vergnügungen. Für ein Feierabend-Bier findet der Bürger in fast jeder Straße eine Kneipe, oft sind es auch gleich mehrere.
Die Studenten haben ihre Verbindungshäuser, und die vornehme Gesellschaft verkehrt in Klubs, zum Beispiel dem Civilclub oder dem Zwei-Löwen-Klub. Die adeligen Kreise haben ebenfalls ihre gesellschaftlichen Einrichtungen.
Neben einer Vielzahl von Gaststätten werden 1911 im münsterschen Einwohnerbuch immerhin sieben Abstinenzler-Vereine vermerkt. Heute ist es für uns erstaunlich, dass die damals gängigen Trinkgefäße Bullenkopp und Bännetzken sechs bzw. drei Liter Altbier aufnahmen. Dass solche überdimensionierten Bierkrüge den Alkoholkonsum förderten, dürfte naheliegend sein. Überhaupt spielten Schnaps, Bier und Wein im Alltag eine nicht unbedeutende Rolle.
Die Zeiten ändern sich. Neue Medien entstehen im Laufe der Jahrzehnte und verändern das Freizeitverhalten der Menschen. Es geht mehr hin zur geselligen und sportlichen Betätigung.
ES LEBE DER SPORT!
Mitte des 19. Jahrhunderts gründen sich die ersten Sportvereine, zum Beispiel die Turngemeinde von 1862, der Ruderverein von 1882 und die Fußballvereine (u.a. SC Preußen Münster und SC Münster 08), die heute noch existieren. Und auch die erste Badeanstalt entsteht im Jahr 1832. Gebadet wurde aber bereits schon davor. Die Behörden hatten jedoch ein Auge darauf, um die Unsittlichkeit des Nacktbadens zu verbieten.
1891 war es so weit – die Schwimmvereinigung Münster wurde gegründet, zwei Jahre später wurde das Werseschwimmbad eingeweiht, … aber nur für Männer. Die Damenabteilung kam erst 1920 hinzu. Ein Familienbad war gar nicht selbstverständlich, als es trotz einiger Proteste eingerichtet wurde. Man hatte Sorge, dass die Sittlichkeit Schaden nehmen könnte.
Es bildeten sich Wandervereine, die hauptsächlich die nähere Umgebung erwanderten, aber auch fernere Ziele erkundeten. Bei dem Verein lief es wie folgt ab: Einmal im Jahr – während der großen Ferien – fand eine einwöchige Wanderung statt. Mit Proviant im Rucksack ging es mit dem D-Zug ins Sauerland oder in ein anderes, vorher sorgfältig ausgesuchtes Gebiet. Über jede Wanderung wurde von wechselnden Protokollanten akribisch Buch geführt: wo man übernachtete, wie das Frühstück schmeckte, was die Fahrkarte kostete, wie die Wanderroute war und welche Ereignisse zu verzeichnen waren. Es fehlten nicht einmal die Abfahr- und Ankunftszeiten der Züge.
KULTUR ENTDECKEN
Münster hatte bereits seit vielen Jahren sein Theater, als das erste Kino 1906 eröffnete. Das Theater und die zwischenzeitlich entstandenen Kinos wurden im Krieg zerstört.
Als diese Kultureinrichtungen nach dem Krieg wieder erbaut waren, konnte ein großer Publikumsandrang verzeichnet werden. Die Menschen sehnten sich nach Kultur und Entspannung. Es war auch eine Flucht vor dem tristen Alltag, dem man für ein paar Stunden entkommen wollte. Das Filmprogramm trug diesem Wunsch Rechnung, und viele Heimatfilme, Herz-Schmerz- und Billigproduktionen kamen auf die Leinwand. Und die Kinos warben mit dem Slogan: „Mach’ Dir ein paar schöne Stunden, geh’ ins Kino.“
Preußen Münster spielte in der Oberliga und wurde 1951 Vizemeister. Es gelang sogar kurz der Aufstieg in die neugeschaffene Bundesliga. Der Publikumszulauf war enorm. Die Polizei musste den Verkehr auf der Hammer Straße besonders regeln. Daneben gab es einen eigenen Schützenverein der Alten Herren.
Ein richtiger Renner war das 6-Tage-Rennen in der Halle Münsterland. Hier konnte genüsslich bei Musik und Germania Edel-Pils den schweißtreibenden Anstrengungen der Radsportler zugeschaut werden. Nicht viel anders waren die Vorführungen, wenn die Catcher in die Halle Münsterland kamen. Zum Gaudi der Zuschauer führten die Catcher sich gegenseitig vermeintliche Grausamkeiten zu. Es waren gutgemachte Inszenierungen, ganz nach dem Publikumsgeschmack, wenn der Gute gegen den Schurken letztendlich siegte.
Die frühen Sechziger Jahre waren in Münster – wie überall – bieder, steif und konservativ. Die neuere Musik wurde als „Hottentotten“-Musik abgetan. Aber den ersten Lichtstreif am Horizont für Veränderungen gab es in Münster bereits: die Cavete. Die ersten Diskos öffneten im kleinen Rahmen in den frühen 1960-er Jahren. Es war eine neue Musikkultur, die von Älteren noch misstrauisch beäugt wurde. Die jungen Musiker Udo Lindenberg und Steffi Stephan traten auf, es gab Livemusik im Neuen Krug, dem Jovel, der Oase, im Insel und anderswo.
DIE BUTTERCREMEJAHRE
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung begannen die „Buttercremejahre“. Wie in der Vorkriegszeit ging es hinaus zu den Kaffeewirtschaften. Vennemann, Hugerlands Hof, Maikotten, Pröbsting und wie sie alle hießen. Man wanderte sonntags nach Handorf oder zu anderen Ausflugszielen und ließ es sich gut gehen. Bötchenfahren auf der Werse gehörte ebenfalls dazu. Ich erinnere mich gut an die Zeit, als meine Eltern und wir Kinder – letztere missmutig – von der Wiener Straße aus zu Fuß nach Handorf wanderten. Vennemann war oft das Ziel. Wir saßen dann auf der herrlichen Terrasse direkt an der Werse. Florida Boy oder ein Glas Regina gab es für uns Kinder. Kuchen bekamen wir seltener, weil er eben teuer war.
Tanzen war besonders angesagt und beliebt. Konnte doch auf diesem Wege Kontakt zum anderen Geschlecht geknüpft werden. Eugen Wichtrup, Charly Zimmermann, Stefan Bernàd, Werner Estinghausen und andere waren damals die Tanzlehrer einiger Tanzschulen.
DA GEHT NOCH MEHR ...
Auch über den von den Eltern meist nicht geliebten Treff der Jugend am Lamberti-Brunnen, über die zahllosen Schützenvereine, über das Baden an der Kanalüberführung (dem KÜ) und über Weiteres könnte erinnert und geschrieben werden. Vielleicht ein andermal …