Auf der Bühne des Echtzeit Theaters Auf der Bühne des Echtzeit Theaters
Foto: Roman Starke

Kunst & Kultur

"Das wurde aber auch echt Zeit!"

„Frauen auf einem Schiff, seid froh, dass das nicht möglich ist!“, heißt es zu Beginn des Theaterstücks Das besondere Leben der Hilletje Jans, das in den Niederlanden des 18. Jahrhunderts spielt. Und doch: Als Junge verkleidet kämpft das Waisenmädchen Hilletje gegen Piraten und kehrt als Held(in) in ihre Heimatstadt zurück. Als ihr Geheimnis auffliegt, kennt die Justiz kein Erbarmen.

Das echtzeit-theater aus Münster hat das Stück von Ad de Bont und Allan Zipson als packende Abenteuergeschichte umgesetzt. Das Besondere an der Produktion für Kinder ab neun Jahren: Die Spielfläche kommt ohne Requisite und Bühnenbild aus. „Vieles ist nicht sichtbar, und das Bild wird erst durch die eigene Phantasie ausgestaltet“, sagt David Gruschka. Mit direkter, manchmal derber Sprache und pointiertem Witz wirft das Ensemble einen humorvollen Blick auf die Geschlechterrollen von damals, heute und morgen. „Wir wollen Kindern zeigen, dass eine andere Welt möglich ist“, sagt Nina Krücken. „Dass sich eine Frau wie ein Mann anziehen und verhalten kann oder ein Mann wie eine Frau. All das ist möglich, und es auf der Bühne zu sehen, ist befreiend.“

„Frauen auf einem Schiff, seid froh, dass das nicht möglich ist!“ Das besondere Leben der Hilletje Jans
Bühnenauftritt im Echtzeit Theater Foto: Roman Starke

Neben der Tanzkompanie Bodytalk ist das echtzeit-theater das zweite freie Theater aus Münster, das vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft gefördert wird. Zum ersten Mal wurden jetzt NRW-weit vier Spitzenförderungen explizit an Kinder- und Jugendtheater vergeben. „Das wurde aber auch echt Zeit!“, fügt David Gruschka lachend hinzu.

„Die Arbeiten des echtzeit-theaters zeichnen sich durch experimentelle Spielansätze aus und binden Sichtweisen des Films genauso ein wie Formen des Erzähltheaters oder des Forschungstheaters im Klassenzimmer“, lautet die Jurybegründung. „Wir freuen uns riesig und sind noch ganz aus dem Häuschen“, sagt David Gruschka. „Wir haben die Möglichkeit, unsere thematischen Auseinandersetzungen über drei Jahre zu planen, und können uns in den einzelnen Arbeitsbereichen wie Projektmanagement und Theaterpädagogik professionalisieren, aber auch laufende Kosten wie die Miete für Lager und Büro decken.“ Das war nicht immer so …

Ein Blick zurück

Die feinsinnige Nina Krücken und der kommunikative David Gruschka haben sich während des Studiums der Theaterpädagogik an der Hochschule Osnabrück kennengelernt. Schnell war klar, dass sie eine ähnliche Vision teilen und sich (bis heute) bei künstlerischen Entscheidungen oft einig sind. „Und vor allem“, betont David Gruschka, „können wir uns aufeinander verlassen.“ 2011 gründeten sie das echtzeit-theater. „Am Anfang haben wir quasi für umsonst gearbeitet. Wir haben keine Förderung bekommen, die uns unsere Arbeitsstunden bezahlt hätte“, erinnert sich Nina Krücken. Da habe es auch Momente des Zweifelns gegeben, in denen sie sich gefragt hat: „Interessiert das eigentlich überhaupt jemanden, was wir hier machen?“ Aber Nina Krücken und David Gruschka glaubten an sich, an ihr Projekt und an ihr Publikum. Sie wurden von Jahr zu Jahr erfolgreicher, erhielten eine Einladung zum Spielarten-Festival, bekamen auch von der Stadt Münster, der Bezirksregierung und dem Landesbüro regelmäßige Projektförderungen. Es folgten die Teilnahme am Westwind-Festival, die Auszeichnung mit den Preisen der Fachjury und der Kinderjury bei Westwind 2018, der dritte Preis bei der Hessischen Kinder- und Jugendtheaterwoche 2019 und schließlich die Spitzenförderung. „Also abgesehen von der kleinen Durststrecke am Anfang, ging es immer weiter voran“, sagt Nina Krücken.

Portrait Nina Krücken Foto: Jutta Waldhelm
Nina Krücken ist freie Grafik- und Medien-Designerin, Schauspielerin, Theaterpädagogin und künstlerische Leiterin von echtzeit-theater. Die zweifache Mutter spielt seit 2014 bei Emscherblut, einer der ältesten professionellen Improtheater-Gruppen Deutschlands.
Portrait David Gruschka Foto: Jutta Waldhelm
David Gruschka leitet seit 2011 das Studiotheater des Instituts für Theaterpädagogik der Hochschule Osnabrück Burgtheater Lingen, ist freier Schauspieler, Regisseur und künstlerischer Leiter von echtzeit-theater. Er engagiert sich in diversen kulturpolitischen Gremien und ist in einigen Jurys tätig.

Das Team des Echtzeit-Theaters

Heute setzt sich die Kompanie aus der künstlerischen Leitung, einem sechsköpfigen Kernteam, das sich über die vergangenen Jahre gebildet hat, sowie etwa zehn wechselnden, assoziierten Künstlerinnen und Künstlern aus verschiedenen Sparten zusammen. Jedes Jahr wird eine Neuproduktion im Bereich Theater für junges Publikum erarbeitet. Bislang wurden thematisch basierte Eigenentwicklungen durchgeführt, Bilderbücher und Romanvorlagen umgesetzt sowie dramatische Texte inszeniert. Zehn der etwa dreißig Vorstellungen pro Jahr spielt das Ensemble in Münster – zumeist in der Meerwiese –, die anderen im Rahmen von Festivals in ganz Deutschland.

Natürlich, so will es schon der Name, weht der Zeitgeist durchs echtzeit-theater: Die kommenden drei Jahre stehen unter dem Leitthema Mensch und Natur. Geplant sind eine Bühnenproduktion, eine Rauminstallation und ein Stück, das im Wald aufgeführt wird. Dabei stellt sich das Ensemble immer einer inhaltlichen und einer technischen Herausforderung. „Wir produzieren beispielsweise musikalisch nichts vor, sondern versuchen, möglichst alles live zu machen, damit das Publikum die Entstehung mitverfolgen kann“, betont David Gruschka.

Wichtig sei, die jungen Menschen nicht zu belehren, sondern ihnen Fragen zu stellen. Dabei trauen die Macher des echtzeit-theaters den Kindern und Jugendlichen viel zu, und das kommt (auch bei Erwachsenen Zuschauern) gut an. So wird das Ensemble heute oft mit tosendem Applaus belohnt. Bei dem großen Theater Angebot sollte es also kein Problem sein, dem Wunsch von Nina Krücken und David Gruschka zu folgen: „Eltern, geht mehr mit euren Kindern ins Theater!“ – Machen wir, versprochen!

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