Zu Fuß
Aufbruch im Süden der Altstadt
erschienen in Münster Urban #2
Als kleiner Junge habe ich das sonntägliche Windowshopping gehasst. Damals flanierte man mit Mami und Papi über Prinzipalmarkt, Salzstraße, Bahnhofstraße und Windthorststraße – auch über den Verspoel. Nicht weil der damals voll spannender Geschäfte gewesen wäre, sondern um auch ja die komplette Ludgeristraße beim üblichen Rundlauf mitzunehmen. Über die erreichte man flugs den Ausgangspunkt der Tournee. Dieser große Zirkel ist längst aus der Mode gekommen. Münster litt über Jahrzehnte darunter, keine Rundläufe mehr zu bieten. Doch in den letzten Jahren hat sich das Feld der spannenden Räume Schritt für Schritt erweitert. Königsstraße, der Harsewinkelplatz, die Stubengasse und weitere Bereiche wurden vom Hinterhof oder Zubringer zum veritablen Zielpunkt mit Aufenthaltsqualität. Diese Entwicklung ist nicht zu Ende. In einigen Straßenzügen geht sie gerade erst los.
„Das Potenzial ist groß.“ Tobias Viehoff
„In eineinhalb Jahren haben wir irre viel geschafft.“ Katharina Neuroth
Verspoel soll Tor zur Altstadt werden
Eigentümer, Gastronomen, Händler und Anlieger am Verspoel gründeten einen Verein, um den kurzen Straßenzug, der nur wenige Schritte von Münsters meistfrequentierten Lauflagen entfernt liegt, weiterzuentwickeln. Das Potenzial ist groß, da sind sich Kenner der Szene, von Stadtdirektor bis ISI-Sprecher Tobias Viehoff, einig. Doch der Weg hin zu einer nachhaltigen Quartiersentwicklung erfordert einen langen Atem und erhebliche Integrationsfähigkeit. Denn nur wenn man alle Akteure an den Tisch bekommt und dort hält, kann es dauerhaft bergauf gehen. Rechtsanwältin Katharina Neuroth hat für den Straßenzug eine klare Vision: Das Tor zur Altstadt soll der Verspoel werden, mit eigener Aufenthaltsqualität, und das auch jenseits der Öffnungszeiten der Geschäfte. Vor einigen Jahren begannen die regelmäßigen Treffen. Neuroth hat die Anlieger an den Tisch geholt. Immer dabei: Wirtschaftsförderung und Stadtplanungsamt. „Diese Unterstützung hat den Menschen hier in der Straße gezeigt: Wir werden ernst genommen“, erinnert sich Neuroth. Erste gemeinsame Aktivitäten – etwa zum Schauraum – sowie Identitäts- und Zieldiskussionen bestimmten die ersten Treffen. In diesem Jahr war die Zeit reif für die Vereinsgründung. „Wir sind schneller als erwartet an den Punkt gekommen, diesen nächsten Schritt zu gehen. In eineinhalb Jahren haben wir irre viel geschafft“, freut sich Neuroth über die Fortschritte. Vorsitzende des Vereins ist Sabine Schubert, Inhaberin von Mamacocon.
Designstudierende entwickelten Konzepte
Als Glücksgriff und Katalysator erwies sich die Kooperation mit der Münster School of Design, dem Fachbereich Design der Fachhochschule Münster. Designstudierende befragten, analysierten und sichteten. Sogar mit einem Alterssimulationsanzug bewegte man sich durch die Straße, um nachvollziehen zu können, wie alte Menschen die Situation erleben. Am Ende standen die Vorschläge von drei Studierendengruppen. „Wir waren sehr überrascht, was da auf die Beine gestellt wurde“, berichtet Neuroth. Viele neue Ideen lieferte das Projekt: die Gestaltung der Straße – von der Beleuchtung bis hin zu Stadtmobiliar, das die Aufenthaltsqualität der Straße erhöht. Das brachte den Verspoel ins Gespräch und lenkte den Blick auf die Möglichkeiten. Ein Schlüsselthema für die Studierenden, aber auch schon vorher in den Diskussionen der Interessengemeinschaft, ist das Thema Autoverkehr. Derzeit behindert eine geschlossene Reihe geparkter Fahrzeuge die Erlebbarkeit der Straße und lässt nur Raum für schmale Gehwege.
„Aus Sicht vieler Akteure wäre ein Shared Space, bei dem sich Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer den Straßenraum teilen, bei deutlich weniger Autos die richtige Lösung“, gibt Neuroth den Stand der Diskussionen wieder. Doch wenn Bagger kommen sollen, ist das natürlich eine Angelegenheit der Stadt. „Der Rat hat das Stadtplanungsamt auf unseren Antrag hin einstimmig beauftragt, den Straßenzug neu zu planen“, so Neuroth, seit einigen Monaten auch Vorsitzende der münsterschen Wirtschaftsinitiative (WIN). Besonders wichtig ist den Akteuren, nicht nur in Kategorien des Handels zu denken. „Eine Stadt muss auch nach Geschäftsschluss attraktiv sein“, fordert Neuroth. Doch trotz aller Fortschritte ist sich der Verein der eigenen Grenzen bewusst. „Ein professionelles Quartiersmanagement übersteigt unsere Möglichkeiten“, so Neuroth.
Hier hakt die Initiative Starke Innenstadt (ISI) ein. „Wir wollen unsere Leistungen für die Quartiere ausweiten. Der Verspoel könnte eine Blaupause für eine neue Form des Quartiersmanagements werden“, kündigt ISI-Sprecher Tobias Viehoff an. „Es reicht nicht, die Innenstadt insgesamt erlebbar zu machen. Nur wenn wir die Besonderheiten der Viertel transportieren können, gibt Münster ein urbanes Gesamtbild ab“, weiß Viehoff. Doch die Möglichkeiten der einzelnen Straßen sind begrenzt. Das NRW-Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr fördert das Projekt. „Wir schreiben gerade eine Stelle aus“, so Viehoff. Land, Stadt und ISI seien sich einig, dass sich eine Stadt nur entwickeln lässt, wenn alle Akteure zusammenwirken. „Das ersetzt nicht die Aktivitäten in den Straßen. Die Interessengemeinschaften dürfen sich nicht zurücklehnen“, betont Viehoff. Aber es sorge für eine Komoderation und Flankierung, die von der Koordination von Events über das Begleiten von Planungs- und Bauprozessen bis hin zum Vermietungsmanagement reicht. Letzteres ist für Viehoff ein Schlüsselfeld. „Events und Straßenbau sind wichtig. Aber am Ende zählt vor allem die richtige Mieterstruktur“, so Viehoff. Eine einzige Vermietung könne einen positiven Katalysatoreffekt für die ganze Straße auslösen oder im schlimmsten Fall das komplette Quartier nach unten ziehen. „Es geht darum, Eigentümer zu sensibilisieren“, so der ISI-Sprecher. „Natürlich können und wollen wir keine Entscheidungen für Eigentümer treffen. Aber wir können Empfehlungen aussprechen. Wir wollen erreichen, dass Eigentümer uns ansprechen, weil sie realisieren, dass gerade die Hauseigentümer auf lange Sicht von einer nachhaltigen Quartiersentwicklung deutlich mehr profitieren als von verlockenden, aber gefährlichen Rekordmieten“, bringt Viehoff das Programm auf den Punkt.