Nachhaltig & Regional
Saugut
Sport am Mittag hält das Bäuchlein straff: Im Wäldchen bei Alverskirchen proben schwarzgraue Jungschweine den Wettlauf, quieken und grunzen. Landwirt Christian Vincke, 35 Jahre alt, steht am Gatter und schaut zufrieden zu. Der Alverskirchener hält seit gut vier Jahren Ibérico-Schweine im Offenstall. Der angrenzende Auslauf mit Baumbestand und sporadischem Zugang zu einer Obstwiese ist 1,8 Hektar groß. Ein Paradies für um die 100 Schweine. Und für was für welche! Wild sehen sie aus, sportive Körper haben sie und ein feuriges Temperament.
IN EICHENWÄLDERN GEMÄSTET
Kein Wunder, stammen diese Schweine doch aus Spanien. Schinken dieser spanischen Schweinerasse gehören zu beliebten Delikatessen von Gourmets und Spanienurlaubern. Qualität und aromatischer Geschmack des Fleisches sind in der Haltung und insbesondere in der Genetik und im Futter der Tiere begründet: In Spanien leben die Ibérico Schweine ihr Leben lang auf großen Flächen in Steineichenbeständen und futtern die letzten Monate ihrer Mastzeit hauptsächlich Eicheln. Die Tiere leben länger, 14 bis 18 Monate dauert die Schlachtreife – ein Schwein in konventioneller Haltung wird etwa sieben Monate alt. Anders als die in Deutschland üblichen Hausschweine, die auf 16 Rippen gezüchtet wurden, haben die Ibérico-Schweine nur zwölf oder 13 Rippenpaare – deshalb wirken sie so sportiv. „Man möchte das intramuskuläre Fett dieser Tiere haben“, erklärt Christian Vincke, „die Fettauflage an sich ist bei den Ibéricos fünfmal so dick wie beim gewöhnlichen Schwein.“ Wer einmal in Spanien war, dem sind in Bars und Restaurants die von der Decke hängenden Schinkenkeulen bekannt. 14 bis 36 Monate reift die Delikatesse an der Luft, bis ein Messer eine hauchzarte Scheibe schneidet. Da läuft einem – abgesehen von den Vegetariern – das Wasser im Munde zusammen.
SPANISCH-BAJUWARISCHE 500-EURO-FERKEL
Mindestens sieben Bauerngenerationen lebten schon auf dem Vinckeschen Familienhof in Alverskirchen. Christians Vater hat sich in den 1980er Jahren auf Schweine spezialisiert. 3.000 lebten in den Ställen. Bis der Sohn die Rasse der Ibéricoschweine für sich entdeckte – für ihn sind sie das, was die Wagyus im Rinderbereich sind: Das Fleisch der Tiere mit dem japanischen Ursprung ist ebenfalls eine Luxusdelikatesse. „Über ebay-Kleinanzeigen habe ich fünf Ibérico-Mastferkel entdeckt und habe diese mit dem Autoanhänger in Bayern abgeholt. Die neuen Schweine mussten erst einmal in Quarantäne und so haben wir gleich den Offenstall mit dem Auslauf eingeweiht“, erzählt Christian Vincke. Ein Ibérico-Ferkel kostete 500 Euro – ein konventionelles Ferkel bringt aktuell 35 Euro. Wenn heute seine spanischen Schweine schlachtreif sind, fährt Vincke jeweils fünf bis zehn Schweine im Anhänger an seinem Auto gut 50 Kilometer nach Schöppingen. Dort kommen seine Tiere ins zweite Werk, wo nur Not- und Sonderschlachtungen durchgeführt werden. Eine Nacht verbringen die Schweine in einer Box, damit sie sich vom Stress erholen. „Stress treibt die Milchsäure im Fleisch hoch und das wirkt sich negativ in der Schinkenreifung aus“, sagt Vincke. Früh morgens werden die Tiere einzeln mit einer Stromzange betäubt und sind sofort tot. Dann bluten sie aus. Fünf Tage hängen die Hälften und werden runtergekühlt, damit sich die Enzyme entwickeln, die das Fleisch zart machen.
WENIGER IST MEHR
Die Futterverwertung der Spanier ist eine andere: „Umgerechnet bekomme ich beim normalen Schwein aus 2,7 Kilo Futter ein Kilo Fleisch. Beim Ibérico ergeben fünf Kilo Futter ein Kilo Fleisch. Nachhaltig im Hinblick auf Ressourcen ist das auch nicht! Wenn wir aber alle weniger, aber dafür hochwertiger essen, wird ein Schuh draus.“ Am Ende kostet ein Kilo Ibérico Westfalia zwischen 30 und 35 Euro. „Das ist eben schon etwas Besonderes“, sagt Christian Vincke. Im Vergleich: Schweinefleisch aus der konventionellen Haltung kostet derzeit etwa ein Viertel vom Ibérico.
DER GLÄSERNE BAUERNHOF
300 konventionelle Mastplätze hat Vincke bereits umgebaut und so Platz für 85 iberische Muttersauen und deren Nachzucht geschaffen. Er will Transparenz und hat ein bodentiefes etwa drei Meter langes Schaufenster in die Stallaußenwand gesetzt. In eine Ferkelbucht kann so der Hofbesucher hineinschauen, beobachten, wie die Ferkel saufen, spielen, sich im Stroh wälzen und schlafen. Wenn sie größer sind, ziehen die Jungschweine um in den Offenstall. Nachwuchs gibt es genug, eben hat Christian Vincke für seine Sauen aus Spanien Ebersperma bestellt. „Da kostet der Transport per Flugzeug mehr als die Ware selbst!“ Ein eigener Eber steht zwar im Stall, kann aber aufgrund der Inzuchtgefahr nur teilweise eingesetzt werden.
DER RITTERSCHLAG: ARTIKEL IM FEINSCHMECKER
Sogar einen eigenen Schinkenreiferaum baut er derzeit. Dort baumeln schon die ersten Keulen und reifen bis zu 18 Monate an der Luft. „Die verlieren etwa ein Drittel ihres Gewichtes, während der Geschmack intensiver wird“, erklärt Vincke. Grillfleisch, Steaks, Chorizo und überhaupt möglichst das ganze Tier möchte Vincke verwerten, pro Monat schlachtet er zehn bis 20 Schweine. „Aus dem Fett machen wir Griebenschmalz als Brotaufstrich und nennen es Crema de Ibérica.“ Zu seinen Kunden gehören Privatleute, Gasthäuser aus dem Münsterland wie das Landhaus Bisping aus Alverskirchen oder Sterneköche wie Ben Peifer vom Restaurant Intense im rheinlandpfälzischen Kallstadt. Christian Vincke ist einer der Landwirte auf dem Portal grutto.de.
Bisher also ein erfolgreiches Modell, so gut, dass das Magazin Der Feinschmecker über ihn berichtete. „Das war für mich ein echter Ritterschlag“, freut sich der Alverskirchener Landwirt. Um zu beweisen, wie anders das Ibérico-Fleisch ist, holt er eine Chorizo-Rohwurst und schneidet sie draußen auf dem Familiengrillplatz am Hof an. Schnell glänzen die Scheiben fett. „Wegen der gesunden ungesättigten Fettsäuren liegt der Schmelzpunkt niedriger und die Wurst fängt schneller an zu schwitzen.“ Daran würde man die Qualität erkennen. Dieses Wissen hat Christian Vincke nicht erst, seit er vor einem Jahr in Graz den „Diplom-Fleisch-Sommelier“ abgelegt hat. „Nicht, dass ich es selber machen möchte, aber ich kann dem Metzger besser erklären, was ich will.“
FRAGEN SIE NACH!
Es sind noch Nischen, die Landwirte wie Vincke mit einer Nutztierhaltung bedienen, in denen Schwein, Rind oder Huhn ein ganzes Stück artgerechter leben als in den Massentierhaltungen. Auslauf unter freiem Himmel, selbstangebautes Futter, die Haltung alter oder vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen, kürzere Wege und kleinere Transportwägen zum Schlachthof – das macht Eier, Fleisch und Milch teurer, aber lebenswerter für Tiere und Menschen. Wir Verbraucher können solche Produzenten direkt fragen, wie es um die Tiere und die Produktion der Lebensmittel steht, weil sie mit ihrem Namen für ihre Landwirtschaft vor uns stehen und erreichbar sind. Christian Vincke steht dabei stellvertretend für viele Bauern aus der Region, die Neues wagen.