Menschen
teamgeist auf rollschuhen
erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 122 (März 2023)
„Vollkontaktsport auf Rollschuhen“ oder „wie Rugby, nur ohne Ball“ – so beschreibt Saskia Wortmann, Spitzname „Wilma Durch“, ihren Sport. Roller Derby in der Theorie zu erklären, sei schwer bis unmöglich, sagt sie. Aber sobald man sich ein oder zwei Spiele angeguckt habe – live oder auch auf der VideoplattformYouTube – verstehe man sofort, worum es geht. Einen Einblick in die recht unpopuläre Sportart und vor allem die Philosophie, die dahintersteckt, bekommt man aber auch, wenn man Wilma darüber sprechen hört. Sie hat sechs Jahre beim Roller Derby Münster gespielt, die letzten zwei Jahre war sie außerdem im Vorstand des Vereins tätig.

Der Sport, bei dem die Spieler*innen auf Rollschuhen hintereinander herjagen, stammt aus den USA. 1935 wurde dort – inspiriert vom Sechstagerennen – erstmals ein solches Sportevent veranstaltet, bei dem Rollschuhfahrer*innen so viele Runden auf einer ovalen Bahn drehen mussten, wie möglich. Körperlich war der Sport extrem belastend: zum einen durch die langen Rennzeiten, zum anderen durch die harten Rempeleien der rivalisierenden Mannschaften. Nach einiger Weiterentwicklung der Regeln erfuhr das Roller Derby in den 50er- und 60er-Jahren einen Aufschwung und wurde zum Publikumsmagneten, der Tausende von Amerikaner*innen in die Hallen lockte – jedoch nur bis in die 70er, als der Sport unter anderem aufgrund der Ölkrise und der steigenden Reisekosten wieder in der Versenkung verschwand. Um die Jahrtausendwende wurde das Roller Derby schließlich wiederentdeckt, und auch in Deutschland gründeten sich wenig später die ersten Vereine. Die münstersche Mannschaft – bis vor Kurzem noch als Zombie Rollergirlz bekannt – gibt es seit fast zwölf Jahren. Zur Namensänderung entschied sich das Team, um allen Mitgliedern gerecht zu werden und ein Zeichen für gendergerechte Sprache zu setzen: Nicht jede*r Spieler*in identifiziert sich als Frau oder eben als „Girl“. Die Aktion zeigt, dass es beim Roller Derby um mehr geht, als nur um den Sport – eine der vielen Besonderheiten, die Wilma und ihre Teamkolleg*innen daran so begeistern.

TAKTIK UND SELBSTREFLEXION
Auch wenn es schwer ist, erklärt Roller-Derby-Profi Wilma die Grundregeln des Sports: Zwei Teams spielen auf einem Feld gegeneinander, das aus einer ovalen Bahn besteht – dem sogenannten Track. Auf dem Track sind von jedem Team je fünf Leute aktiv. Eine Person pro Mannschaft, auch „Jammer*in“ genannt, trägt einen Stern auf ihrer Helmhaube. Die Aufgabe jener Spielerin oder jenes Spielers ist es, Punkte zu holen, indem er oder sie Mitglieder der gegnerischen Mannschaft überholt. Davon wollen sie oder ihn jedoch die vier gegnerischen Spieler*innen abhalten – und dürfen dafür fast ihren gesamten Körper einsetzen. Die Offensive und Defensive, die bei den meisten Sportarten separat und zeitlich hintereinander geschieht – eine Mannschaft greift an, die andere verteidigt – passieren beim Roller Derby zeitgleich. „Das macht die Rennen extrem taktisch“, erklärt Wilma. Was sie außerdem fasziniert: „Roller Derby ist eine Sportart, die sich immer wieder überdenkt. Die Regeln werden fast jedes Jahr weiterentwickelt, um den Sport zu optimieren, und das verändert natürlich auch die Spielweisen.“ Ein Spiel dauert eine Stunde, ist aufgeteilt in zwei Halbzeiten und diese wiederum in mehrere Runden. Mit den Details und weiteren Extraregeln fängt Wilma jedoch gar nicht erst an: „Wie gesagt, man muss es sich angucken!“

Dass die Spieler*innen beim Roller Derby nicht zimperlich sein dürfen und Rempeleien gewissermaßen zum Konzept gehören, lässt sich nicht leugnen. Trotzdem hat Wilma in den letzten Jahren, in denen sie sowohl als Spielerin in der 2. Bundesliga als auch als Schiri viel unterwegs war, kaum Verletzungen miterlebt. „Jedenfalls nicht mehr als beim Fußball!“ Die Spieler*innen sorgen schließlich vor: Sie schützen sich mit Knie-, Ellenbogen- und Handschonern, ein Helm ist ebenfalls Pflicht. Sobald es in den Körperkontakt geht, kommt außerdem ein Mundschutz dazu. Menschen mit Berührungsängsten brauchen sich jedoch trotzdem nicht abschrecken zu lassen. „Das ist das Tolle am Roller Derby: Jeder kann sich irgendwie einbringen. Jedes Spiel wird von sieben Schiris auf Rollschuhen und zwölf weiteren ohne Skates begleitet, da ist immer großer Bedarf “, so Wilma. Wer also keinen Körperkontakt will, kann als „Official“ Teil des Teams werden. „Und jemand, der gerne redet, kann die Ansagen machen, durchs Publikum gehen und die Regeln erklären.“ Die Spiele beim Roller Derby sind nämlich Do-It-Yourself, wie Wilma es nennt: „Wir organisieren uns komplett selbst. Das fängt bei den Sanitäter*innen an, die bei jedem Spiel bereitstehen müssen, und hört bei den Schlafplätzen auf, die wir unseren Gegner*innen bereitstellen.“


NIEDRIGE HüRDEN UND GROSSE OFFENHEIT
Körperliche Voraussetzungen braucht man fürs Roller Derby kaum. Wilma selbst konnte bei ihrem ersten Training noch nicht einmal Rollschuhfahren – was sie nicht davon abhielt, schon wenig später ihr erstes Bundesliga-Match zu spielen. Sie betont, dass beim Roller Derby wirklich jede Person ihre Rolle finden könne: „Ich habe eine Freundin, die eine starke körperliche Beeinträchtigung hat. Sie war neugierig und wollte es gerne auch mal probieren – was wir ihr natürlich gerne ermöglicht haben. Es war unfassbar, wie viel Fortschritt sie schon in zwei Stunden Training gemacht hat!“ Ein Moment, der Wilmas Freundin bis heute viel bedeutet, weil sie sich dabei so stark fühlte. Und auch Wilma selbst bekommt noch immer „Pipi in den Augen“, wenn sie sich daran zurückerinnert. Häufig hat sie in den letzten Jahren Anfängertrainings gegeben und konnte live mitverfolgen, wie die Spieler*innen bei null anfingen, sich Ziele erarbeiteten und daran wuchsen. Wie wichtig für diesen Fortschritt die Unterstützung der Teammitglieder ist, berichtet auch Spielerin „Donna Dynamite“, wie sie beim Roller Derby genannt wird. „Es ist immer ein ganz besonderer Moment, wenn ich merke, wie sehr mein Team an mich glaubt – durch diesen Rückhalt kann ich meine Leistung noch weiter steigern, auch wenn ich es selbst vorher nicht für möglich gehalten hätte“, erzählt sie. Auch Mitspielerin „Kris Firestorm“ hebt den großen Zusammenhalt der Mannschaft hervor, der sie schon viele neue Freundschaften schließen ließ. Was sie am Sport außerdem schätzt? „Roller Derby ist mein Ausgleich. Hier kann ich den Kopf ausstellen, von der Arbeit abschalten und mich einfach auspowern. Und die Rempeleien machen auch ein bisschen Spaß!“, gesteht sie lachend.


Darüber, dass bei den Zombies jeder und jede sein Plätzchen finden kann, sind sich alle Mitglieder einig. Die Offenheit hat nur eine Grenze: „Sexist*innen und Rassist*innen sind bei uns nicht willkommen!“ Denn Roller Derby ist auch ein politischer Sport. Die meisten Teams setzen sich auf gesellschaftlicher Ebene für Themen ein, die ihnen am Herzen liegen – wie bei der münsterschen Mannschaft etwa die gendergerechte Ausdrucksweise. Im Roller Derby dürfen außerdem auch Transfrauen in der Bundesliga spielen – was selbstverständlich sein sollte, es aber in anderen Sportarten längst noch nicht ist. Apropos Bundesliga: Um in dieser Saison an dem Wettkampf teilnehmen zu können (wofür es mindestens 15 zugelassene Spieler*innen braucht), hat sich das Roller Derby Team aus Münster mit dem aus Bremen zusammengetan. Als Roller Derby „Brünster“ – für Bremen und Münster – treten sie gegen andere Teams aus ganz Deutschland an. Ob auch in Münster ein Spiel ausgetragen wird, steht noch nicht fest – wegen der schwierigen Hallensituation. Klar: Eine etwa 18x30 Meter große Bahn inklusive Platz für die vielen Schiris und das Publikum muss sich erst einmal finden.

VORAUSSETZUNG: TEAMGEIST
Zum Trainieren kommen die Roller Derbys dienstags in der Sporthalle der Regenbogenschule und samstags in der Mathilde Anneke Gesamtschule zusammen. Wer neugierig ist, soll keine Scheu haben, sich beim Team zu melden, so Wilma. „Man muss sich einfach nur trauen! Der schwerste Schritt, um bei uns reinzukommen, ist noch der, uns eine E-Mail zu schreiben. Danach läuft alles wie von selbst“, verspricht sie. Auch um das richtige Equipment braucht sich vor der ersten Trainingsstunde niemand zu kümmern – es sind genügend Rollschuhe, Schoner und Helme zum Leihen da. Nur eines sollten neue Spieler*innen mitbringen: Teamgeist – denn ohne den nützen auch die beste Taktik, Kondition oder Geschicklichkeit nichts. Und: Volljährig müssen die Mitglieder des Teams sein, denn Roller Derby Münster hat wegen der begrenzten Hallenzeiten keine eigene Junior-League. „Das ist schade, weil man in einer Kids-Mannschaft von Anfang an die Menschen heranziehen könnte, die Spaß an dem Sport haben. Mit 18 haben die meisten die Sportart, für die sie brennen, schon gefunden“, so Wilma. Umso mehr freuen sich die Roller Derbys über jedes neue Mitglied, das ihre Mannschaft bereichert. Und eins steht fest: Viel mehr als ab und zu auf dem Allerwertesten zu landen, kann nicht passieren – und dann heißt es: Aufstehen, Helm richten und weiter rollern!
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