Das Blaukehlchen, das in den Rieselfeldern im Schilf brütet.
Foto: Patrick Günner

Mit dem Fahrrad

Alle Vögel sind schon da

erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 101 (April 2021)

Ohren auf, Augen zu: Die Rieselfelder klingen wie ein Spaziergang am Meer. Vor allem hört man im Frühjahr die Lachmöwen – deren Ruf wie ein höhnischer Lacher klingt – gräkrääh. Doch der Name der weißen Möwen mit grauen Rücken und Flügeln leitet sich eher von ihrem Lebensraum ab: Sie brüten in flachem Wasser, den „Lachen“ oder „Lacken“.

INTERNATIONALES FLUGDREHKREUZ

Von solchen flachen Wasserflächen gibt es in den Rieselfeldern mehr als genug. Welche Stadt kann von sich behaupten, dass sie acht Kilometer vom Rathaus entfernt ein Europareservat für Wasser und Watvögel hat? Münster unterhält mit den Rieselfeldern einen international bedeutenden Rastplatz für Zugvögel – ein lebenswichtiger und idealer Standort zwischen Afrika und Skandinavien. Seit 1979 sind die Rieselfelder ein Europäisches Vogelschutzgebiet, was rechtsverbindlich ist.

Auf über vier Quadratkilometern verteilen sich über 100 kleinere und größere Wasserflächen – ein Paradies für Vögel. Die mosaikartig aufgeteilten Teichzonen sind meistens nur 10 bis 30 Zentimeter tief. Zwei tiefere Stauteiche gibt es, die etwa bis 1,50 Meter reichen. Breite Schilfgürtel leuchten in der Morgen und Abendsonne des Frühlings in einem warmen Goldockerton – Ende Mai wachsen dann frische grüne Schilfrohre nach, während die alten Halme langsam verrotten. So gibt das Schilf über das ganze Jahr Sicht und Lärmschutz für Vögel, Insekten und allerlei Getier. So mögen das die Lachmöwen. Auf den Inseln dieser Gewässer brüten sie in großen Kolonien.

Rieselfelder Foto: Cornelia Höchstetter
Ornithologe Patrick Günner findet: „Die Stimmen der etwa 20 häufigsten Vögel sind relativ leicht zu lernen.“ Dabei helfen Apps, Vogelstimmen-CDs und Portale wie deutsche-vogelstimmen.de

WAS MAN KENNT, SCHÜTZT MAN GERNE 

Es ist ein Naturerlebnis für alle Münsteraner und Münsteranerinnen – und für Ornithologen, die wegen der Rieselfelder teils von weit her anreisen, um hier Vögel zu beobachten. Zu ihnen gehört Privatdozentin Dr. Bettina Zeis. Die Wissenschaftlerin am Institut für Zoophysiologie an der Westfälischen Wilhelms- Universität (WWU) ist häufig in den Rieselfeldern, weil sie hier Lehrveranstaltungen für ihre Studenten durchführt. Patrick Günner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Landschaftsökologie. Er fotografiert leidenschaftlich und stellt freundlicherweise für unser MÜNSTER! Magazin Motive zur Verfügung.

„Ich finde es sehr wichtig, dass wir Tiere und Pflanzen kennen und wenigstens einige Vögel ihrer Art zuordnen können“, sagt Dr. Bettina Zeis. „Jeder will heute ökologisch leben, da ist es wichtig, auch die ökologischen Zusammenhänge kennenzulernen.“ So etwa, dass mit dem Klimawandel die Zugvögel früher im Jahr zurückkommen und sich die Verbreitungsgebiete der Arten verändern.

Holzwege durch die Rieselfelder Foto: Cornelia Höchstetter
Holzwege durch das Schilf führen zu Beobachtungshütten – mit Blick auf den Abendhimmel, der sich im Wasser spiegelt.
Storch in den Rieselfeldern Foto: Maren Dobslaw
Der Weißstorch: Zugvogel aus der Familie der Störche Zu Gast auf dem Heidekrug: der Storch. Zieht Ende August ins tropische Afrika. Der stumme Vogel klappert besonders am Nest laut mit dem Schnabel.

NAH DRAN: EIN BLICK DURCHS SPEKTIV

Wenn Dr. Bettina Zeis an einem der Aussichtspunkte steht, lässt sie gern mal ihr Spektiv – das Fernrohr der Ornithologen – schauen: Dann sieht man ganz nah die – leicht zu erkennenden – schwarzen Blässhühner mit dem weißen Tupfer zwischen Schnabel und Augen. Sie tauchen schnell und komplett ins Wasser ab.. Andere Wasservögel wie die Stockenten „gründeln“: das heißt, dass sie nur mit dem Kopf unter Wasser Würmer und Schnecken aufschnappen und wie im Kinderlied „Schwänzchen in die Höh‘“ zeigen. Seit der Corona-Epidemie beobachten die Naturexperten einen Ansturm auf die Ausflugsziele wie die Rieselfelder. „Mein Wunsch: Die Leute sollen bitte auf den Wegen bleiben.", sagt Bettina Zeis. Praktisch für Mensch und Tier sind die zehn Beobachtungshütten. Versteckt für die Vögel steht man hinter Holzwänden und beobachtet durch die Fenster, ohne zu stören.

DIE GESCHICHTE DER RIESELFELDER

Die Rieselfelder sind ein Vogelparadies aus zweiter Hand, weil sie künstlich angelegt sind. Dr. Hans-Uwe Schütz, Mitarbeiter der Biologischen Station der Rieselfelder Münster, fasst die Geschichte des Vogelparadieses gut zusammen: „Ursprünglich wuchs auf diesen Flächen lückiger ein Stileichen-Hainbuchenwald, es war das ‚Allmend-Land‘ der Gemeinde St. Mauritz, wo deren Vieh zum Weiden aufgetrieben wurde“, sagt er. Die heute noch in Karten angedeuteten Flurnamen „Coerheide“ und „Gelmer Heide“ sind Zeugnis von der Öffnung der Landschaft durch die historische Viehhaltung. 1899 wurden die „Rieselfelder“ angelegt, so hießen die Flächen für ein weit über 100 Jahre altes Verfahren zur Abwasserreinigung. In vielen Städten gab es solche Rieselfelder, aber in Münster verlief die Geschichte besonders aufregend: Als in den 1950er Jahren die Bevölkerung wuchs, landete immer mehr Abwasser in den Rieselfeldern. Das Wasser zog die Insekten an, diese wiederum die Vogelwelt. Kritisch wurde es mit dem Bau der neuen Kläranlage 1975 – die Rieselfelder drohten trocken zu fallen. Noch schlimmer: Die Stadt Münster überlegte, ein Industriegebiet anzusiedeln. Die Münsteraner protestierten auf dem Prinzipalmarkt, die Mitarbeiter der Biologischen Station ebenso. Sie wurden gehört und die Rieselfelder blieben der Natur und der Naherholung erhalten. „Kürzlich waren Brasilianer zu Besuch an der Uni“, erzählt Dr. Zeis, „die konnten kaum glauben, dass sich die Bürger hier durchgesetzt haben.“

Landschaft im Wandel Foto: Bildarchiv Biologische Station Rieselfelder Münster
Was heute unter Naturschutz steht, war früher intensiv genutzt. Die heute noch in Karten angedeuteten Flurnamen Coerheide und Gelmer Heide sind Zeugnis, dass früher die Landschaft von der historischen Viehhaltung geradezu kahl gefressen wurde.

IM APRIL ZIEHEN DIE WATVÖGEL DURCH

Im April beobachtet Dr. Hans-Uwe Schütz von der Biologischen Station unter anderem Bartmeisen, Blaukehlchen und Rohrammern. „Das sind Singvögel, deren Lebensräume an das Schilf gebunden sind“, erklärt er. Aber auch die Watvögel staksen dann mit ihren hohen Beinen durch das Wasser – etwa der Kibitz, die Uferschnepfe oder der Kampfläufer. Die Watvögel haben die weiteste Anreise unter allen Rieselfelder-Vögeln. „Nicht zu überhören ist die Kanadagans“, findet Patrick Günner. Es klingt wie „Ah-Ronk“ mit Betonung auf der zweiten Silbe. Die großen Zugvögel erkennt man an den schwarzen Köpfen und dem weißen Kinnband. Kanadagänse lösen Sehnsucht aus, auf Reisen zu gehen. Gut, dass die Rieselfelder das Fernweh stillen können.

Route Foto: Heithoff & Companie

Vom Kanal an das Vogelmeer

Ein guter Treffpunkt für den Start ist die Warendorfer Straße: Dort fährt man auf der östlichen Kanalseite in Richtung Norden bis zur Schleuse. Die Schleuse überquert man – und Achtung: wir folgen dem Weg links, der einer Schleife folgend auf den Radweg der westlichen Kanalseite führt. So rollt man am Wasser entlang, lässt das Industriegebiet am Schifffahrter Damm hinter sich, bis der Radweg endet. Links abbiegen, auf der linken Hand blickt man schon über die Beweidungsflächen der Rieselfelder. Der Fahrstraße folgen, dann links. Bald taucht die Biologische Station auf. Der Straße Coermühle folgend biegt am Ende des großen Teiches ein befestigter Naturweg links ein. Gleich anfangs steht die erste Beobachtungshütte. Jetzt taucht man in die Rieselfelder Atmosphäre ein. Fußgänger und Radfahrer teilen sich rücksichtsvoll den Weg. Vom Aussichtsturm gewinnt man einen Überblick. Unsere Tour folgt dem Weg, der rechts abbiegt (links) steht eine weitere Beobachtungshütte, Entlang des Emsableiters  kann man unterwegs immer wieder durch die Lücken im Schilf auf die Wasserflächen blicken. Der Weg biegt rechts ab und gabelt sich daraufhin ein weiteres Mal. Vor dem Linksabbiegen empfiehlt sich die Stippvisite des Schilflehrpfades. Weiter auf dem Weg zur Straße Coermühle, dann links zum Rieselfelderhof. Ist die Gaststätte Heidekrug geöffnet, kann man hier einkehren. Ansonsten ein Blick nach oben: Sind die Störche im Horst? Gegenüber der Gaststätte führt die Route Richtung Reiterhof Bölting, geradeaus bis zum Messingweg, dort links Richtung Sprakel. Nach dem Bahnübergang rechts, der Weg macht dann erst einen Links-, dann einen Rechtsschlenker und an der Kreuzung kurz vor Sprakel biegen wir rechts ab, es geht wieder über die Bahn. Wenn wir auf die Gimbter Straße stoßen, geht es rechts. Die Straße führt über die Aa , der nächste Weg rechts führt zurück in die Rieselfelder (Alternativ würde ein wenig später rechts der Hessenweg auftauchen). Immer dem Weg folgen, bis links zwischen den Wasserflächen der Weg „An der Schlüppe“ quert, hier links, am Ende rechts, so kommt man zur Biologischen Station zurück. Der Rückweg folgt dem Hessenweg nach rechts. Wie auf dem Hinweg geht es am Kanal zurück in die Stadt.   

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