Mit dem Fahrrad

Radeln verleiht Flügel

Hätte, hätte – Fahrradkette. Jedes Jahr am Pfingstmontag ist der Deutsche Mühlentag. An dem Aktionstag sind Mühlen geöffnet, hölzerne Zahnräder greifen scheppernd ineinander, schwere Steine mahlen Getreidekörner zu Mehl und draußen drehen sich die Flügel. Wir brechen zu einer Radtour ins östliche Münsterland auf, um unter den Windmühlen in Westkirchen und Ennigerloh die mitgebrachte Brotzeit zu verspeisen.

MÜNSTERLAND = MÜHLENLAND

Windmühlen und Wassermühlen waren für die Landwirtschaft eine Notwendigkeit. Viele von ihnen sind verschwunden und verfallen, nachdem sie unwirtschaftlich geworden sind. Manche sind wie Dornröschen wieder zum Leben erweckt worden.

Mühle in Westkirchen Foto: Cornelia Höchstetter
Die Krähen umfliegen die Mühle in Westkirchen.

Die Westkirchener Mühle liegt etwa im ersten Drittel der Mühlentour. Radelt man den Mühlenweg dem Bauwerk entgegen, wirkt die Mühle wie aus dem Bilderbuch: die verputzte Außenwand, der Galeriegang rundherum, die Flügel am dunklen Mühlenkopf. Tatsächlich gehört das Bild der Mühle schon seit fast 200 Jahren zu Westkirchen. Erst war es eine Wassermühle. Ab 1800 haben sich die Westkirchener Bauern genossenschaftlich eine neue Mühle, diesmal Windmühle, gebaut. Westkirchen liegt nämlich windbegünstigt, weil die Fallwinde vom Finkenberg (wo die Radtour auf dem Höhenweg entlang verläuft) nach Westkirchen wehen, das 80 Meter niedriger als Ennigerloh liegt.

WESTKIRCHENS HOLLÄNDERMÜHLE

1810 drehten sich erstmals die Flügel des „Galerieholländers“, so die Bauart. Der konische Turm war und ist 23 Meter hoch, die Flügelspannweite beträgt 20 Meter, die Wände waren und sind meterdick und im Sockelgeschoss gab es eine Durchfahrt für die Pferdekutschen zur Getreideanund Mehlauslieferung. Dank der drehbaren Dachhaube konnte der Müller die Flügel nach dem Wind ausrichten. 1970 hat der letzte Müller den Betrieb eingestellt. Der letzte Mühlenbesitzer war – bis 1973 – Baron von Nagel von Haus Vornholz in Ostenfelde.

Kühe auf der Weide Foto: Cornelia Höchstetter
Den Kühen auf der Weide schmeckt das Gras.
Im Drubbel von Ennigerloh. Foto: Cornelia Höchstetter
Im Drubbel von Ennigerloh.

DER VEREIN IST DER RETTER

„Die Mühle war in den 1970er Jahren so gut wie abrissbereit. Flügel, Gaube und Umlauf waren relativ marode“, erzählt der Vorsitzende des Heimatvereins Westkirchen, Michael Frankrone. Doch dann hätten sich die Bürger Westkirchens engagiert. Für 10.000 Euro kaufte die Stadt Ennigerloh die Westkirchener Mühle und verpachtete sie an den Heimatverein, so sagt Michael Frankrone. Der Heimatverein gründete sich, um die Mühle zu retten und damit beim Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ teilzunehmen. „Die Mühle ist wieder Wahrzeichen des Ortes und gibt dem Heimatverein ein Domizil“, freut sich Frankrone. In den 1980er Jahren renovierten die Westkirchener die Mühle, bis sie im alten neuen Glanz erstrahlte. Mahlbereit ist sie nicht, dafür ein Treffpunkt für Vereinsleute und Gäste in der guten Stube mit dem offenen Kamin. „Wenn Kneipen und Jugendtreffs sterben, haben wir die Mühle für die Dorfgemeinschaft als Mittelpunkt und als Treffpunkt“, findet Michael Frankrone.

Über zwei Etagen können Besucher Ausstellungsstücke aus dem früheren Dorfleben bewundern: alte Haushaltsgeräte, alte Handwerke, eine Schusternähmaschine oder eine Holzschuh-Drechselmaschine. Hier in der Mühle findet das Ortsleben statt, mit zum Beispiel einem Bilderbuchkino für die kleinsten Westkirchener. Ein Happy End, denn auch die Flügel drehen sich wieder – wenn auch elektrisch angetrieben. Sonntags, wenn man Glück hat, sind die Vereinsleute da und die vorbeikommenden Fahrradfahrer dürfen das Innenleben bewundern. Und wenn alles gut geht, ist die Mühle auch im September am Tag des Denkmals geöffnet. Und 2022 dann wieder zum Deutschen Mühlentag am Pfingstmontag!

AUSFLUG IN ENNIGERLOHS GESCHICHTE

Das zweite Mühlen-Ziel ist die Windmühle in Ennigerloh: Zum Mühlenberg namens „Mühlengeist“ muss man mit der Leeze ganz schön hoch strampeln – dafür haben wir zwischen den Bäumen auf 114 Metern über NN einen guten Blick über das Umland. Ennigerloh liegt auf einem Hügel, fast sogar Berg und das war auch der Siedlungsgrund. Nach steinzeitlichen Funden ist erwiesen, dass hier schon 3000 Jahre vor Christus Menschen gesiedelt haben. Im Mittelalter war Ennigerloh ein Ort des „Fehmgerichts“, auch „Freigericht“ oder „Freistuhl“ genannt – also eine Art Strafjustiz. Hier wurde Gericht gehalten und es wurden Strafen verhängt – sowie Verurteilte auf dem Berg gehängt. Auch diese Mühle hatte einen beziehungsweise einige Vorgänger: Eine erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1498, damals waren die Mühlen aus Holz und gebaut als Bockwindmühle – so wie die, die im Freilichtmuseum Mühlenhof in Münster steht.

Fahrräder parken vor der Westkirchener Windmühle Foto: Cornelia Höchstetter
1807 legten die Westkirchener Bauern den Grundstein für ihre genossenschaftliche Windmühle, damit sie vor Ort ihr Korn mahlen konnten. Unter den Flügeln der Westkirchener Mühle packen die Radfahrerihre Brotzeit aus. Die Mühlen sind ein besonderer Picknickplatz: Bänke und Tische stehen bereit.

MÜHLE AUS KALKSTEIN

1869 ist das Baujahr der heutigen Mühle, ein technischer Fortschritt war die Mühlenkappe mit den Flügeln, die sich in den Wind drehen ließ. Schon Ende der 1920er Jahre wurde sie aber stillgelegt. Anders als die Westkirchener Mühle hat die in Ennigerloh keinen Putz, sondern kantige Kalksteine, aus denen der Mühlenturm gemauert ist. Das passt perfekt, denn schon auf der Herfahrt der Radtour ist das große Zementwerk aufgefallen. Kalksteinbrüche liefern den Grundstoff für Zement – und dank der Fossilienfunde in den Kalksteinen hat Ennigerloh auch drei Muscheln im Stadtwappen. Heute noch ist in Ennigerloh die Zementindustrie ein wichtiger Arbeitgeber – mit den Werken Anneliese I und II. Die Namen der Zementwerke stammen nach Münsterländer Sitte von den Ehefrauen der Zementswerksgründer. Seit 1872 entstanden um Beckum und Ennigerloh über 33 Zementwerke im Umkreis von 22 Kilometern. Das ist die höchste Zementwerksdichte weltweit. Beziehungsweise war – es sind nur noch einzelne Werke übrig, die inzwischen zum Unternehmen Heidelberg Cement gehören.

SEIT 2013 MAHLT DIE MÜHLE WIEDER

Heinz Josef Heuckmann ist Vorsitzender der Mühlenfreunde Ennigerloh und erzählt, dass sich auch hier der Verein gründete, um den Verfall der Mühle aufzuhalten. „Es ging um das Wahrzeichen Ennigerlohs“, findet er. Die Stadt ist die Eigentümerin und mit Eigenleistung, Fördergeldern und Sponsoren haben die Mühlenfreunde so lange gebaut, dass die Mühle (im Wert von 586.000 Euro) wie einst wieder mahlen kann. Das Gemeinschaftsprojekt steht unter Denkmalschutz. Das Innenleben besteht aus der hölzernen Mühlentechnik, die erhalten werden konnte. „Drei- bis sechsmal im Jahr, wenn der Wind gut weht, mahlen wir zur Demonstrationszwecken das Getreide und zeigen den langen Weg bis zum Mehl“, sagt Heinz Josef Heuckmann.

Früher hatte Ennigerloh gleich drei Windmühlen. Die, die übrig ist, misst 18 Meter und dreht das Ortsleben und die Gemeinschaft an: Der Mahlboden im Inneren ist Vereinsraum und Standesamt – von jährlich 80 bis 90 Trauungen in Ennigerloh finden 50 bis 60 in der Mühle statt. Eine Kooperation von Ennigerloher Landwirten produziert aus einheimischem Getreide Brotbackmischungen. Für Kindergärten bauen die Mühlenfreunde auf einem Acker an der Mühle Getreide an. „Das dreschen wir mit Dreschflegeln gemeinsam mit den Kindern und mahlen es mit Mühlsteinen: dann begreifen die Kinder, wie mühsam es früher war, aus Getreide Mehl zu erhalten“, erklärt Hein Josef Heuckmann. „Windoder Wassermühlen waren ja auch über Jahrhunderte lang die einzigen Maschinen, die man hatte. Eine Maschine, die Windoder Wasserenergie in mechanische Kraft umwandelte.“

„Was in Warendorf die Pferde sind, sind in Westkirchen die Kugeln.“ MICHAEL FRANKRONE

WAS SICH NOCH DREHT …

Auf der Rückfahrt von Ennigerloh Richtung Warendorf geht es bergauf zum Höhenweg: Ennigerloh und die Umgebung gehören zu den Beckumer Bergen. Auf dem sogenannten Höhenweg staunt der Radfahrer: Bei gutem Wetter sieht man bis in den Teutoburger Wald! Und noch etwas ist zu erblicken: drei goldene Kugeln. Die eine steht direkt am Fahrradweg und hat einen Durchmesser von 1,20 Meter. Man kann sich hineinsetzen und den Ausblick genießen. Bergab steht in der Landschaft eine zweite und auf der Sichtlinie zum Westkirchener Kirchturm eine dritte Kugel. Der inzwischen in Rente stehende Bäckermeister Laurenz Frisch hat die Betonkörper geschaffen. Kugeln sind eine Leidenschaft des 71-Jährigen. Er hat sich das mal ausgedacht, „Kugeln für Westkirchen, weil Westkirchen eine runde Sache ist!“, erzählt er. Kugeln sind für Laurenz Frisch sinnbildlich Orte, wo sich Menschen treffen. Ein Mittelpunkt. „Das ist doch das Wichtigste, was wir Menschen brauchen: Orte, an denen wir uns treffen, wo wir diskutieren können“, findet der Bäckermeister. Solche Orte und Treffpunkte sind Frischs Kugeln – genau wie die Windmühlen – vor allem, wenn sie irgendwann wieder geöffnet sind.

Route Foto: Heithoff & Companie
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