Josef Kleinheinrich Josef Kleinheinrich
Foto: Peter Leßmann

Menschen

Die schönen Dinge

erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 103 (Juni 2021)

Herr Kleinheinrich, wovon waren Sie zuerst fasziniert: von Büchern oder Skandinavien?

Es ging miteinander einher. Ich habe mich stets für Literatur und Kunst interessiert, sozusagen für die schönen Dinge. Und schon in jungen Jahren war ich oft in Skandinavien – Landschaft, Architektur und Design habe ich gleich als etwas ganz Besonderes wahrgenommen. Studiert habe ich dann in Münster und in Kopenhagen, die Zeit dort hat mich sehr geprägt.

Was zeichnet die Lebensart in Dänemark aus?

Die Deutschen sind allgemein sehr ernst. Auch in Schweden herrscht eine Zurückhaltung: Jeder ist auf den Ton bedacht und bemüht sich, nicht zu viel zu sagen. Ich glaube, dass die Dänen grundsätzlich eine andere Lebenseinstellung haben, mit einer gewissen Offenheit allem gegenüber. Sicher spielt das Meer dabei eine wichtige Rolle. Dänemark besteht schließlich aus mehr als 500 Inseln und einer Halbinsel. Überall ist Wasser in der Nähe.

Reifte in Dänemark Ihr Plan, einen Verlag zu gründen?

Ja. Nachdem ich gemerkt, gelesen und studiert habe, wie viel gute Literatur es in Skandinavien gibt, hatte ich die Idee, einen Verlag mit diesem Schwerpunkt zu gründen. Damals gab es relativ wenige Übersetzungen. Ich wollte eine kleine Bibliothek mit Literatur aus Skandinavien aufbauen. Heute gibt es neben deutschen Ausgaben jeweils eine dänische, schwedische, norwegische, isländische und sogar eine finnland-schwedische Reihe.

Oer‘sche Hof Foto: Peter Leßmann
Refugium des Adels: Der Oer‘sche Hof ist ein Werk des Barock-Baumeisters Johann Conrad Schlaun.
Bücher Foto: Peter Leßmann

Wie erinnern Sie sich an den Beginn als junger Verleger in Münster?

Während des Studiums arbeitete ich bei Wolfgang Hölker (Verleger u. a. des Coppenrath Verlags, Anm. d. R.). Wir hatten vereinbart: Sobald ich es abgeschlossen habe, fange ich mit meinem eigenen Verlag einfach an. Zwischendurch frotzelte er: „Wann wirst du endlich fertig? Das dauert ewig!“ Als ich am Domplatz mein Rigorosum in Philosophie absolviert hatte und mit meinem soeben erhaltenen Doktortitel zum Prinzipalmarkt ging, kam Wolfgang aus der Buchhandlung Coppenrath, die damals dort ansässig war. Wieder frotzelte er, und ich konnte ihm erzählen, dass ich gerade fertig geworden war. Er sagte: „Morgen früh, acht Uhr, bist du bei mir. Du bekommst einen Schreibtisch und ein Telefon. Du machst deinen Verlag!“

Wie fühlten Sie sich in diesem Moment?

Ich war Wolfgang Hölker für seine große Unterstützung, die bis heute anhält, sehr dankbar. Zugleich war am Anfang nichts: Ich hatte meinen Verlag neu gegründet und konnte mich auf keine Tradition berufen. Ich musste ins kalte Wasser springen.

Ihre erste Veröffentlichung war Ihre eigene Doktorarbeit: ein Buch über den dänischen Dichter Herman Bang.

Mich interessierte, wie Herman Bang als junger Mensch vom Lande nach Kopenhagen gekommen war und die Entwicklung zur Großstadt miterlebte. Dafür suchte er eine Sprache, schrieb kleine Feuilletons. Mit meinem Titel ging ich 1986 zur Frankfurter Buchmesse. Stolz und euphorisch richtete ich den kleinsten Stand von allen ein, eine zwei mal zwei Meter große Kabine. Allerdings dachte ich: Ein einzelnes Buch, ist das nicht etwas überheblich? Weil zwei weitere in Vorbereitung waren, ließ ich mir Blindbände herstellen, mit einem roten und einem blauen Umschlag. So wirkte es, als hätte ich bereits drei Titel. Aber nur in einem stand etwas drin.

Josef Kleinheinrich wählt aus Foto: Peter Leßmann
Erlesene Auswahl: In Zusammenarbeit mit Andreas Murkudis, Spezialist für Mode und Design in Berlin, hat Josef Kleinheinrich etwa auch Porzellan, Schmuck und Kleider in sein Sortiment aufgenommen.

Bestätigte sich Ihre Euphorie?

Die Messe war wunderbar. Ich traf unglaublich nette und interessierte Menschen, die sich nach meinen Plänen für die Zukunft erkundigten.

War Ihnen bewusst, dass Sie mit Ihrem Verlag ein Risiko eingingen?

Ich erwartete keinen Riesenerfolg. Als ich mich mit meinen Titeln in Buchhandlungen vorstellte, brauchte ich sie oft gar nicht auszupacken. Lyrik, und dann auch noch dänische, kam selten sofort gut an. Ich bin optimistisch an meine Aufgabe herangegangen, ohne daran zu denken, was es wirklich bedeutete.

Wie meinen Sie das?

Heute muss ich einsehen, dass ich nicht erkannt habe, wie schwierig es werden wird. Immer noch bewege ich mich mit meinem Verlag am Rande der Buchbranche. Ohne Unterstützung käme ich nicht aus. Für Übersetzungen oder andere Produktionen erhalte ich Förderungen, zum Beispiel von der Königlich Schwedischen Akademie. Allein durch den Verkauf würden sich die Titel nicht tragen. Meine Hoffnung, dass der Verlag eine Ebene erreicht, auf der er finanziell gesichert ist, hat sich noch nicht erfüllt

Atelier Einrichtung Foto: Peter Leßmann
Zweites Leben: Vermeintlichen Atelier-Abfall formt Heiner Binding zu Objekten. Von dem Künstler aus Köln sind bei Kleinheinrich in diesem Sommer außerdem Bilder in Öl auf Leinwand zu sehen.
Verse im Boden verewigt Foto: Peter Leßmann
„Die Aprikosenbäume gibt es, die Aprikosenbäume gibt es“: Verse aus Inger Christensens „Alphabet“ schrieb Josef Kleinheinrich spontan auf den Boden, als bei einer Renovierung die Nivelliermasse noch nicht getrocknet war.

Welchen Grund gibt es dafür?

Das Publikum, welches sich für meine Titel interessiert, ist begrenzt. Ich kann lediglich kleine Auflagen planen und dementsprechend nicht viel Geld verdienen. Es ergibt keinen Sinn, von Gedichtbänden mehr als 500 Stück zu drucken. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber grundsätzlich handelt es sich nicht um Bücher, die in riesiger Auflage erscheinen. Manches kompensiere ich mit dem Verkauf von Kunst und Vorzugsausgaben, denen originale Arbeiten beiliegen. Aber auch diese Objekte müssen erst einmal Käufer finden.

Was motiviert Sie zum Weitermachen?

Ich mag meine Arbeit sehr und hoffe, dass ich sie noch lange fortführen kann. Die Zusammenarbeit mit Künstlern ist einmalig. Viele meiner Bücher wurden gut rezensiert, das bewegt natürlich etwas. Davon habe ich letztlich profitiert, weil ich kein völlig Unbekannter mehr war und von vornherein Aufmerksamkeit erhielt, wenn Neues erschienen ist. 

Was schätzen Ihre Kunden? 

Um ein Detail, abgesehen von Inhalt und Gestaltung, zu nennen: Die meisten Lyrikbände erscheinen zweisprachig. Leserinnen und Leser finden es schön, sich mit dem Original auf der linken Seite zu beschäftigen und es mit der deutschen Übersetzung zu vergleichen.

Zu Ihren Autorinnen zählte die 2009 verstorbene dänische Dichterin Inger Christensen.

Sie war für mich eine der großen Lyrikerinnen dieser Zeit. Ich träumte davon, ihre Werke zu verlegen. Also rief ich sie an, wir verabredeten uns und beschlossen eine Zusammenarbeit. Bei Per Kirkeby war es ähnlich unkompliziert. Auf der Fähre von Fehmarn nach Dänemark sah ich ihn zufällig. Ich stellte mich ihm vor – und wir verstanden uns sofort gut. Oft besuchte ich ihn auf Læsø, der nördlichsten dänischen Insel in der Ostsee. Dort lebte er auf einem alten Hof und arbeitete in seinem Atelier. Durch unsere gemeinsamen Projekte ist eine Freundschaft entstanden.

Ist ein vertrauter Umgang die Grundlage Ihrer Arbeit?

Tatsächlich pflege ich zu allen, die ich verlege, engen Kontakt. Wenn ich eines Tages aufhöre, wird es nicht möglich sein, den Verlag weiterzuführen. Die persönliche Note wird niemand durchhalten können.

Skizzen an der Wand Foto: Peter Leßmann
Mit Markus Lüpertz, einem der bekanntesten deutschen Künstler der Gegenwart, hat Josef Kleinheinrich diverse Projekte realisiert. Im Oer‘schen Hof ist eine Skulptur des Malers, Grafikers, Bildhauers und Dichters ausgestellt

Welchen Anteil haben Sie an einem Buch?

Ich schreibe nicht die Texte und male nicht die Bilder. Meine Aufgabe ist, das Aussehen des Buches zu bestimmen. Es ist das Gesicht des Verlages. Ich überlege: Wie groß sind die Bilder, welches Format, welchen Schrifttyp und welche Punktgröße wähle ich aus? Wird es ein Broschur- oder ein Leineneinband? Welche Farbe setze ich ein, wie ist der Titel geprägt? Wie sieht das Lesebändchen aus? Solche ästhetischen Fragen muss ich mir stellen und darüber entscheiden. Gerne arbeite ich zusammen mit den jeweiligen Autoren und Künstlern, damit etwas dabei herauskommt, das wir alle möchten.

Aus Büchern werden bei Ihnen Kunstwerke.

Sie sind empfindlich, sollen aber trotzdem normal benutzt werden. Es wäre zu viel des Guten, sie nicht gebrauchen zu wollen. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen meine Bücher ohnehin vorsichtig behandeln. Sie sprachen von Ästhetik.

Wie äußert sich Ihre Leidenschaft fürs Schöne?

Ich achte auf unzählige Feinheiten. Die Ästhetik bezieht sich auf alles Mögliche. Kleidung, Möbel, Blumen, die Farbe an einer Wand oder das Papier eines Buches. Jede Kleinigkeit ist betroffen, so hat sich mein Geschmack entwickelt.

Warum mögen Sie Weiß?

Es drängt sich nicht in den Vordergrund, was für ein Buch oft von Vorteil ist, weil Texte und Bilder dadurch besser zur Geltung kommen. Es gefällt mir in sämtlichen Schattierungen. Ich habe aber auch Bücher mit knalligen Farben gemacht. Weiß ist also kein Muss.

Ein weißes Blatt Papier markiert auch den Respekt vor dem Anfang eines Projekts.

So ist eines der schönsten Bücher von Inger Christensen entstanden. Mehrmals beschrieb sie, womit sie haderte, wenn sie vor dem leeren Blatt Papier saß. Ich denke, so etwas macht jeder durch, der sich künstlerisch betätigt. Von Inger Christensen stammt das Buch „Alphabet“: Auf kleinen Zetteln notierte sie Wörter aus dem Lexikon, die sie zufällig auswählte und alphabetisch nach der Fibonacci-Folge anlegte. Auf diese Art und Weise löste sie ihr Problem mit dem weißen Blatt Papier. „Alphabet“ stellt das ganze Leben dar, es ist einer der schönsten Gedichtbände der Weltliteratur. Eigentlich ist es unverständlich, dass Inger Christensen nicht mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Dabei gibt es wohl eine einfache Erklärung: Sie war mit den Juroren freundschaftlich verbunden. Ihre Wahl hätte falsch ausgelegt werden können.

2011 ging der Nobelpreis für Literatur an den schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer.

Auch mit ihm haben Sie Bücher kreiert. Wir lernten uns schon 1986 in Münster kennen. Er war für eine Lesung zu Gast an der Westfälischen Wilhelms-Universität und wurde mir von einer Bekannten vorgestellt, die Tomas Tranströmer darauf hinwies, dass ich einen Verlag gegründet habe und mich um Literatur aus Skandinavien bemühe. Er schaute mich von oben bis unten an und sagte: „Aha, so sehen Sie aus. Ich dachte immer, alle Verleger haben einen dicken Bauch und rauchen Zigarre.“ Das war unsere erste Begegnung. Zur Verleihung des Nobelpreises hat er mich nach Stockholm eingeladen.

Wie war es dort?

Überwältigend. Alle waren glücklich, dass Tomas Tranströmer der Nobelpreis verliehen wird. Für diese bislang einzige Gelegenheit hatte ich vor vielen Jahren vorgesorgt. Als im Modegeschäft Hasardeur einmal ein Schwalbenschwanz im Angebot war, dachte ich: Irgendwann bekommt einer meiner Autoren sicher den Nobelpreis. Der Frack gehört nämlich zur Kleiderordnung. Er hing dann lange ungetragen in meinem Schrank – bis zum 10. Dezember 2011, dem Tag der Preisverleihung.

Sie sind ein Reisender. Warum ist Münster der richtige Ort für Ihren Verlag?

Ich mache keinen Hehl daraus, dass Kopenhagen meine Lieblingsstadt ist. Aber auch in Münster fühle ich mich sehr wohl. Meine Frau und ich wohnen hier, unsere Tochter ist hier geboren und aufgewachsen. Der Verlag ist allerdings unabhängig. Die meisten Kunden kommen von weit her zu mir.

Welchen Einfluss nehmen Ihre Räume auf Sie und Ihre Gäste?

Der Oer’sche Hof begeistert jeden. Es liegt zum einen an der fantastischen Architektur, zum anderen am Lichteinfall, der die Räume von morgens bis abends verändert. Die gesamte Atmosphäre ist sehr inspirierend. Hier ist Kreativität möglich, mit allem Drum und Dran.

Foto: Peter Leßmann
Dr. Josef Kleinheinrich Foto: Peter Leßmann
Dr. Josef Kleinheinrich, geboren 1953 in Harsewinkel, studierte Skandinavistik, Germanistik und Philosophie. Seit der Verlagsgründung im Jahr 1986 hat er rund 130 Titel veröffentlicht. Seine Buchkunst zeigte Kleinheinrich in zahlreichen Ausstellungen außerhalb des Oer’schen Hofs, darunter im Westfälischen Kunstverein in Münster und im Stedelijk Museum in Amsterdam. Mehrmals zeichnete ihn die Königlich Schwedische Akademie aus, 2019 erhielt er den Deutschen Verlagspreis.

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