Foto: Peter Leßmann

Menschen

Rotlicht am Dorpatweg

Foto: Peter Leßmann

„Ich habe keine Lust auf einen Bilderfriedhof auf der Festplatte. Und keine Zeit, mich durch hunderte von Aufnahmen zu klicken“, beschreibt Friedhelm Haumann seine Aversion gegen digitale Fotografie. Tatsächlich: Weil die einzelne Aufnahme nichts kostet und locker eine vierstellige Anzahl an Fotos auf das Speichermedium in der Kamera passen, entstanden nie mehr Fotos als heute. Doch die meisten sind nicht mehr als Datenmüll. Auch Haumann fotografiert mit dem Smartphone, wenn der Ingenieur für Anlagensicherheit und Immissionsschutz für seinen Job Anlagen dokumentiert. Doch wenn er wirklich „fotografiert“, setzt Haumann auf eine Mittelformat-Kamera von Hasselblad. Die Ausrüstung bringt 16 Kilogramm auf die Waage. Haumann fotografiert technische Einrichtungen, Architektur und „zu 90 Prozent“ Landschaften. Seine Rollfilme lässt Haumann bei Jo Hilpert entwickeln – genau wie Johannes „Sinus“ Dennemann. Der managt für die Emsdettener Pool Group große Konferenzen und Events. Auch Dennemann fährt zweigleisig. Wenn er Events dokumentiert, nutzt er seine digitale Nikon, privat die 20 Jahre alte analoge Variante des gleichen Herstellers. „Das ist für mich eine Frage der inneren Einstellung. Das einzelne Bild wird wertvoller. Man arbeitet konzentrierter“, so Dennemann. Auch der Eventexperte liefert seine Filme am Dorpatweg ab, wenn er von langen Reisen zurückkommt.

„Man arbeitet konzentrierter.“ Johannes „Sinus“ Dennemann

Versteckt, dort wo die Abschleppfahrzeuge der Firma Mahncke parken, weisen ein Firmenschild und ein Aufkleber auf dem Briefkasten am Dorpatweg darauf hin, dass hier ein sehr selten gewordenes Handwerk gepflegt wird. Seit 1983 werden hier Fotos entwickelt – ausschließlich in Schwarz-Weiß. Heute ist Joachim Hilpert einer der letzten Vertreter des Faches. Dass er bisher durchgehalten hat, erweist sich für die wachsende Zahl der Analogjünger als glückliche Fügung. Denn seit einigen Jahren steigt die Anzahl der Nostalgiker stetig, die keine Lust mehr auf Pixelwahn haben. Sie lieben den Geruch von Laborchemie und das Geknister von Negativen in Pergaminhüllen.

Lasurfarbe Foto: Peter Leßmann
„Was wir hier machen, ist eine Nische.“ Jo Hilpert
Im S/W-Labor Münster Foto: Peter Leßmann

Das Labor hat Hilpert 1996 von Christoph Preker übernommen. „Montags morgens standen hier die ersten Fotografen mit den Filmen vom Wochenende vor der Tür“, erinnert sich Hilpert. Dann musste es schnell gehen: Filme entwickeln, Kontaktabzüge fertigen, auf denen der Kunde dann die Motive auswählten, aus denen fix Handabzüge entstehen mussten. Damals druckten die meisten Zeitungen noch ausschließlich Schwarz-Weiß-Fotos. Pressestellen oder Profifotografen ohne eigenes Labor aber auch Hobbyfotografen gehörten zu den Kunden. In den besten Zeiten waren mehrere Laborantinnen im Einsatz. 

Rolling Stones Foto: Christoph Preker, © Sammlung Preker
Im Archiv der Sammlung Preker stecken viele Promis, darunter auch eine Reihe von Weltstars, die mal in Münster waren. Diese Liste ist eindrucksvoller, als sich viele heute vorstellen können.
Foto: Christoph Preker, © Sammlung Preker
Die junge Dame hatte ihre internationale Bühnenkarriere noch vor sich, als Preker sie fotografierte.

Parallel war Inhaber Preker selbst als Fotograf unterwegs. Schon mit 17 Jahren hatte er Anfang der 60er Jahre angefangen, Konzerte zu fotografieren. Das Foto von Mick Jagger auf der Bühne der Halle Münsterland beim ersten Konzert der Rolling Stones auf deutschem Boden überhaupt stammt von Christoph Preker. Wer die Eingangstür des Fachlabors passiert und durch das Treppenhaus ins erste Obergeschoss zur Theke geht, sieht – wie schon vor 30 Jahren – im Treppenhaus große Abzüge mit einem kleinen Ausschnitt des Prekerschen Oeuvres. Dass die Rolling Stones, Santana, Jimmy Hendrix, Pink Floyd, Miles Davis oder Ray Charles allesamt auf münsterschen Bühnen gestanden haben, mag man heute kaum noch glauben. Doch der Beweis hängt zum kleineren Teil am Dorpatweg im Flur und ansonsten verborgen in den Registraturen des Prekerschen Archivs.

Doch Preker fotografierte beileibe nicht nur Popkonzerte. So war er in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts einer der wichtigsten Theaterfotografen Münsters. Wer die Kontaktabzüge herauszieht, sieht plötzlich Gorbatschow oder die Bundeskanzlerin, seinerzeit Familienministerin im Kabinett von Helmut Kohl, die mit Dr. Berthold Tillmann, damals noch Münsters Sozialdezernent, plaudert. Viele Jahre war Preker Hausfotograf der Universität. Auch in den OPs der Uniklinik hat Preker fotografiert und so die Operationstechnik der 70er Jahre dokumentiert. „Christoph war stets ganz nah dran“, kommentiert Hilpert trocken.

Foto: Peter Leßmann
Viel Handarbeit steckt in den hochwertigen Abzügen.

1996 starb Preker plötzlich mit gerade mal 51 Jahren. Sein Kollege und damaliger Nachbar Joachim Hilpert sprang ein und übernahm das Labor. Auch Hilpert ist vom Fach, hatte vorher acht Jahre lang für die Münstersche Zeitung fotografiert. Er erinnert sich an Ratssitzungen auf der Pressebank gemeinsam mit Journalistenlegende Claus-Jürgen Spitzer, der aktuelle Entwicklungen mit einem der damals noch Schuhkartongroßen Mobiltelefone per Funk in die Redaktion durchgab. Natürlich arbeitete Hilpert damals in Schwarz-Weiß.

Bis heute hegt und pflegt Jo Hilpert neben vielen eigenen Negativen die Preker-Sammlung. „Etwa eine Million Negative dürften es sein“, so Hilpert. Das Archiv ist eine Reise in Vergangenheit der Stadt. Maximal ein Prozent der Negative ist digitalisiert. Der Rest schlummert in den großen Aktenschränken. Konservatorisch gesehen ist das eine bewährte Aufbewahrungsart. „Negative halten ewig und sind ein sehr guter Datenspeicher“, so Hilpert. Gemeinsam mit dem rock’n’popmuseum Gronau und dem LWL-Museumsamt realisierte Hilpert eine Ausstellung mit Fotos aus der Sammlung Preker unter dem Titel „Demos, Discos, Denkanstöße“ über die 70er Jahre, die aktuell durch Westfalen tourt und bis Dezember in Bielefeld zu sehen ist. 2013 hatte Hilpert mit Wolfgang Nietans Galerie „Feine Art“ die Ausstellung „Live in Münster“ und 2015 zusammen mit Nietan und dem rock’n’popmuseum Gronau „Musik Mekka Münster“ auf die Beine gestellt. Weitere Bildschauen sind aus Hilperts Sicht denkbar. „Das Archiv gibt noch viel her“, so der Fotograf.

Helmut Kohl in den 70er Jahren Foto: Christoph Preker, © Sammlung Preker
Helmut Kohl in den 70er Jahren in der Halle Münsterland. Damals war Kohl noch Oppositionsführer.

Nachdem Hilpert das Schwarz-Weiß-Labor 1996 übernahm, spürte man langsam den Vormarsch der digitalen Technik in der Fotografie. „So etwa ab 2005 kam die Wende“, erinnert sich Hilpert. In Pressestellen, Redaktionen und bei professionellen Anwendern setzte sich die Digitaltechnik durch. Die war schneller und praktischer – und preiswerter. Brauchte man mit den alten Kameras noch das Auge des Profis und jahrelange Erfahrung, vermochte bei modernen Digitalkameras die Technik zunehmend das Unvermögen des Fotografen auszugleichen. Dass man direkt auf dem Display sieht, was man gerade fotografiert hat, war für die Analogprofis des letzten Jahrhunderts ein ungeahnter Luxus. Man musste auf die Kamera und das eigene Können vertrauen – und erlebte im Labor beim Blick auf die Kontaktabzüge doch mitunter eine unliebsame Überraschung.

Heute fotografieren Profis digital. Zu langsam und zu teuer ist der alte Weg. Gerade in den letzten Jahren katapultierte die technische Entwicklung die Digitalfotografie in ungeahnte Höhen. Bis zu 61 Millionen Pixel löst eine dem klassischen Kleinbildformat entsprechende japanische Vollformatkamera aus, moderne Hochleistungsobjektive bilden diese technische Perfektion auch ab. Und nie gab es mehr Menschen, die fotografieren. Die meisten machen begeistert den Wettlauf um immer mehr Pixel und immer mehr Auflösung mit. Was Kamera und Fotograf in der Situation nicht auf den Datenträger bekommen, wird in der digitalen Bildbearbeitung nachgelegt. Es entstehen kitschig-perfekte Bildwelten, die Plattformen wie Instagram fluten.

Doch Schärfe, Auflösung oder technische Perfektion sind für ein gutes Foto vielleicht hilfreich aber keinesfalls entscheidend. Fotografen wissen das schon seit Jahrzehnten. Jünger der Analogfotografie schwärmen vom Grauwertumfang und dem warmen Look der gekonnten Analogaufnahme im Vergleich zur klinischen Perfektion des digitalen Datensatzes. Und das langsamere und fokussiertere Arbeiten des Analogfotografen soll danach auch zu anderen, besseren Bildkompositionen führen. Deutlich erinnert die Debatte an die Entwicklung der Tonträger. Auch hier streamen Milliarden Menschen täglich digitale Konserven auf den Kopfhörer. Aber eine kleine eingefleischte Fangemeinde betreibt einen hohen Aufwand, weil die gute alte Vinyl-Schallplatte eben doch mehr Atmosphäre verspricht. „Was wir hier machen ist eine Nische“, bekennt Hilpert.

Foto: Jo Hilpert
Auf Baryt-Papier fertigt Joachim Hilpert in mühevoller Handarbeit die Abzüge an.

Hilpert übrigens ist kein Digitalverächter. Er selbst fotografiert sowohl analog als auch digital. Gemeinsam mit dem Fotografen und Freund Andreas Löchte bearbeitete Hilpert eigene Fotos der Skulptur Projekte 07 digital nach und vermischte die Genres. „Ein digitales Foto ist ein Gebrauchsgegenstand. Mit der besonderen Qualität eines auf Baryt-Papier abgezogenen Analogfotos ist das nicht vergleichbar“, so Hilpert. Das wachsende Interesse am Metier wird das vergessene Handwerk auch vor dem Aussterben bewahren. „In den letzten Jahren kommen wieder neue Emulsionen, Papiere und Filme auf den Markt“, so Hilpert. Für die klassische Technik von Foto bis Entwicklung hat sich ein schwunghafter Gebrauchtmarkt entwickelt. Wer noch Opas Leica oder Vaters Hasselblad auf dem Dachboden vermutet, sollte die alten Preziosen langsam reaktivieren ... Er – oder sie – wäre in guter Gesellschaft.

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