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Foto: Markus Heller

Menschen

Buchbinden: Dem Digitalen zum Trotz

erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 102 (April 2021)

Der traditionelle Buchbinder: ein uralter Handwerksberuf, dem das Überleben in den letzten Jahren schwer gefallen ist. Denn dass es Bücher neben Internet, Smartphone und Co. zunehmend schwerer haben, ist längst kein Geheimnis mehr. Die Investition in ein teures, handgefertigtes Buch scheint auch neben dem Angebot der industriell hergestellten Vielfalt nicht mehr alltagstauglich zu sein.

Kleine Buchbindereien mussten also kreativ werden und sich etwas Neues einfallen lassen, um diesem Trend entgegenzuwirken. So auch der Buchbinder Christoph Matthey, der mit seinem Sohn Conrad die Meisterwerkstatt C. Matthey inmitten der Telgter Innenstadt führt. Die ursprünglich in Bad Arolsen gegründete Werkstatt zog mitsamt der zum Teil 150 Jahre alten Maschinen im Jahr 2016 ins Münsterland, da Sohn Conrad hier eine Familie gründete. Gemeinsam versucht das Vater-Sohn-Gespann sowohl das Produkt Buch zu erhalten als auch neue Wege mit Schreibtisch-Accessoires zu gehen, um die Menschen weiterhin von dieser Handwerkskunst zu überzeugen. Die Aufgaben sind hier gut verteilt: Während Vater Christoph als Meister der Buchbinderei seiner Leidenschaft nachgeht, kümmert sich Sohn Conrad um alle organisatorischen und logistischen Prozesse und Anfragen.

Gelernt haben beide zunächst jedoch etwas ganz anderes. Christoph Matthey traf einige Jahre nach dem BWL-Studium in Dresden zufällig einen gelernten Buchbinder, der ihn direkt von der handwerklichen Arbeit überzeugte. Das war der Start für Christoph Mattheys Buchbinderlehre und seine erste kleine Werkstatt. „Ich wollte einfach aus der damaligen Planwirtschaft aussteigen. Da kam 1981 die Chance einen handwerklichen Beruf zu erlernen sehr gelegen“, erklärt Matthey Senior die berufliche Veränderung. Und auch sein 40-Jähriger Sohn kam als Quereinsteiger nach dem Sportwissenschaftsstudium in die Branche der Buchbinderei. „Mich hat es aber nie gereizt, den Beruf des Buchbinders zu lernen, dafür bin ich einfach nicht gemacht. Ich bin also eher der Kopf hinter dem Ganzen“, erklärt Conrad Matthey die Aufgabenteilung im Familienbetrieb.

Conrad und Christoph Matthey Foto: Enno Kapitza
Handwerk verbindet: Conrad und Christoph Matthey führen die Werkstatt seit acht Jahren gemeinsam als traditionellen Familienbetrieb.
Matthey Senior an der Prägepresse Foto: Enno Kapitza
Mit der Prägepresse wird die Schrift auf den Buchdeckel geprägt. Die in den aufgeheizten Schriftkasten eingespannten Buchstaben können mit der Prägefolie in verschiedene Farben eingefärbt werden. Christoph Matthey muss hier das richtige Verhältnis zwischen Druck, Temperatur und Kontaktdauer finden.

SCHNEIDEN, PRESSEN, KLEBEN

Auf gut 150 qm finden sich hier traditionelle Maschinen und Werkzeuge: Schneidemaschine, Pappschere, Prägepresse und Schärfmesser werden hier alle per Hand betrieben. „Dabei ist nicht nur absolute Konzentration gefragt, sondern ziemlich viel Muskelkraft“, erklärt Christoph Matthey, als er die alten Maschinen vorführt. In einer Ecke steht eine Anleimmaschine, die jedoch nicht genutzt wird, da jedes Produkt per Hand mit Leimpinsel und speziellem Klebstoff bearbeitet wird. Handgeführte Arbeitsschritte brauchen zwar viel Zeit und Geduld, garantieren aber im Vergleich zu elektrischen Maschinen millimetergenaue Präzision und durch das menschliche Auge können Fehler schnell erkannt werden. Die einzelnen von Hand betriebenen Arbeitsschritte garantieren die Individualität der Produkte: „Allein von den Schreibtischunterlagen bieten wir 180 Varianten an. Verschiedene Farben, Größen und Formen. Wir produzieren erst nach einer Bestellung, damit ein Set bestehend aus Unterlage, Stiftköcher und Zettelbox aus ein- und derselben Lederhaut hergestellt wird und somit optimal zusammenpasst,“ erzählt uns der 67-jährige Buchbinder.

DAS MATERIAL IM MITTELPUNKT

Alle handgefertigten Unikate bestehen aus exklusiven Materialien wie beispielsweise Rindsleder, handgeschöpftem Büttenpapier oder Fedrigoni Feinstpapier. Diese aus Italien bezogenen Werkstoffe können nur mit der Hand und traditionellen Werkzeugen bearbeitet werden. Hier ist die 40-jährige Berufserfahrung von Matthey Senior gefragt, der nach der Lehre zum Buchbinder direkt den Meistertitel anschloss. Für die Materialien seien nachvollziehbare Lieferketten mit europäischen Partnern besonders wichtig. „Wir sind überzeugt, dass kein Produkt zu etwas Besonderem werden kann, wenn die Herkunft der verwendeten Materialien nicht zweifelsfrei ist“, betont Christoph Matthey die Qualitätsstandards der Produkte. Der Kleber kommt ganz ohne ungesunde Chemikalien oder Lösungsmittel aus und selbst die Produktverpackung verzichtet auf Plastik und besteht aus selbstgemachten Kartons und Schachteln.

Neben dem Leder für Bucheinbände und Schreibtischprodukte steht die simple Pappe im Mittelpunkt der Handarbeit. „Die Pappe ist durch zusammengeklebte Pappschichten extrem stabil und bildet den Kern unser Produkte. Darüber hinaus ist es Altpapier und kann immer wieder recycelt werden“, erklärt Matthey Senior, als er uns das Innenleben einer Stiftschale und eines Stiftköchers zeigt, bevor diese mit Leder bezogen werden.

Christoph Matthey bei der Arbeit Foto: Sedlar & Wolff

LANGLEBIGKEIT MACHT NACHHALTIG!

Dass der Trend hin zu nachhaltigen Produkten geht, spüren auch die Mattheys. Die Herkunft und Inhaltsstoffe seien entscheidend, aber eben auch die Langlebigkeit der Produkte. „Leder ist zwar etwas empfindlich, aber dafür extrem haltbar. Viele Menschen wollen weg von Billigprodukten, die nach Fernost-Umweltstandards gefertigt und mit teilweise gefälschten Bewertungen beworben werden“, so Matthey. Sohn Conrad ergänzt, dass die jüngeren Generationen zwar mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeit hätten, die Wertschätzung für teure Bücher jedoch noch nicht angekommen sei. „Eine Uhr, die man jeden Tag trägt, darf im dreistelligen Bereich liegen. Das tägliche Notiz- oder Tagebuch wird dann aber billig aus Plastik gekauft und auch bei einer teuren Hochzeit wird beispielsweise an einem qualitativen Gästebuch gespart und auf ein günstiges, industriell hergestelltes Buch zurückgegriffen“, erklärt er.

Bücher aller Art aus der Matthey Werkstatt halten ein Leben lang. Durch die investierte Handwerkskunst sind sie etwas ganz Besonderes, das man am liebsten nicht mehr aus der Hand legen will. Wer ein handgefertigtes Buch mit liebevoll gestalteter Prägung erst einmal gesehen und die Materialien wirklich gespürt hat, kann verstehen, was die Herren Matthey tagtäglich mit ihren Händen erschaffen: Einzigartigkeit. Denn individuell hergestellte Bücher aus hochwertigen Materialien, die in sorgfältiger Feinarbeit hergestellt werden, gibt es nur noch selten zu finden.

Leder schärfen Foto: Sedlar & Wolff
Beim Schärfen des Leders per Hand ist Muskelkraft und absolute Präzision gefragt, um das hochwertige Material nicht zu beschädigen.

TRADITION SCHAFFT NEUE IDEEN

Schon vor 20 Jahren merkte Christoph Matthey, dass er die klassische Produktpalette eines Buchbinders erweitern muss. Doch neben den Produkten fürs Büro sollte auch das Buch nicht an Bedeutung verlieren. Kurzerhand machten die beiden aus dem eingestaubten Gästebuch ein sogenanntes Foto-Gästebuch: die Kombination aus Gästebuch und Fotoalbum. „Die Gäste einer Hochzeit beispielsweise sind es leid, die ewig gleichen Glückwünsche und Sprüche zu hinterlassen, aber Fotos mag auf einer Feier eigentlich jeder“, erklärt Conrad Matthey. Das Foto-Gästebuch wird mit Ausgleichsstreifen am Buchrücken versehen, sodass das Buch in der Mitte nicht zu dick wird. So können Fotos eingeklebt und die Seiten durch das dennoch stabile Papier beschrieben werden. Das langweilige Gästebuch wird zu einem kreativen Archiv des wohl schönsten Tages und kann später mit weiteren Erinnerungen wie Einladungskarten oder Geschichten fertiggestellt werden. „Dieses Buch hält für die Ewigkeit und sollte somit als fester Programmpunkt integriert werden“, ergänzt Christoph Matthey seine Neuentwicklung. 

TUSCHEZEICHNUNG VON ROBERT NIPPOLDT

Ein ganz besonderes Highlight für Kunst- und Literaturliebhaber ist die Verbindung des Foto-Gästebuches mit einer Original Tuschezeichnung des Buchkünstlers Robert Nippoldt, dessen Atelier seinen Sitz in Münster hat. Die herausnehmbare, signierte Tuschezeichnung zeigt ein leidenschaftlich tanzendes Paar, welches in einem schönen Rahmen aufgehängt werden kann. Der tägliche Blick auf die Zeichnung soll Erinnerungen hervorrufen und Lust machen, das Foto-Gästebuch mal wieder aus dem Schrank zu holen. „Das tanzende Paar passt wunderbar zur festlichen Hochzeitsatmosphäre und zieht das Interesse der Gäste für das Buch auf sich“, freut sich Christoph Matthey über die künstlerische Zusammenarbeit. Auch der individuelle Schriftzug, der den Buchdeckel schmückt, stammt aus der Feder Nippoldts und wird mit einem Prägestempel in das Leder eingearbeitet. Der individuelle Stempel darf im Anschluss behalten werden und ist ein einzigartiges Erinnerungsstück.

Das Vater-Sohn-Gespann ist sich sicher: Das Interesse an handgefertigten Büchern und hochwertigen Produkten kommt zurück. „Wir müssen den Menschen diese Qualität nur wieder näherbringen. Wenn man ein solches Buch in der Hand hat und merkt, was ein Handwerksprodukt wirklich ist, dann versteht man, was genau wir damit meinen und dass die Handwerkskunst immer noch Daseinsberechtigung hat“, fügt Matthey Senior hinzu.

Handwerkszeug eines Buchbinders Foto: Sedlar & Wolff
Falzbeine, Lederschärfmesser, Spindeln und Pinsel sind nur einige der traditionellen Handwerkszeuge, die mit viel Fingerspitzengefühl zum Einsatz kommen.
Individuelles Gästebuch Foto: Markus Heller
Zwei Künste treffen aufeinander: Eine originale Tuschezeichnung Nippoldts veredelt das individuell angefertigte Foto-Gästebuch.

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