Hüfferstiftung Münster Hüfferstiftung Münster
Foto: Peter Leßmann

Geschichte

„Krüppelheim“, Baudenkmal, Hochschul-campus

erschienen in MÜNSTER! Magazin No. 120 (Januar 2023)

Noch heute strahlt die Hüfferstiftung mit jedem Backstein Grandezza aus. Auf dem noblen Baumberger Sandstein, der als „Marmor des Münsterlandes“ auch an den Fassaden des Prinzipalmarkts, an Rathaus und Dom verbaut ist, prangen goldene Lettern. Die Türme zu beiden Seiten des Haupteingangs erinnern an hochherrschaftliche Schlösser. Doch ausgerechnet hier gingen Anfang des 20. Jahrhunderts die Ärmsten der Armen ein und aus. „Wir arbeiten mit der Innengestaltung gerade daran, dass der Krankenhauscharme noch etwas in den Hintergrund tritt“, sagt Matthias Dieler, Baudezernent der FH Münster, zuversichtlich. Immerhin diente die Hüfferstiftung 80 Jahre lang als orthopädische Klinik, anfangs insbesondere für Patienten, die sich eine solche Behandlung unter normalen Umständen nie hätten leisten können. Jetzt hat der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW), gleichzeitig Eigentümer und Vermieter der Immobilie an der Hüfferstraße, den inzwischen von der FH Münster genutzten Gebäudeteil im Rahmen des Hochschulkonsolidierungsprogramms für rund zehn Millionen Euro frisch saniert. Ab 2024 sind die Räumlichkeiten der Westfälischen Wilhelms-Universität samt Fassade dran. Mit der Sanierung und dem damit verbundenen Großprojekt Hüffer-Campus wird ein neues Kapitel in der Geschichte der Hüfferstiftung aufgeschlagen – einer Geschichte, die vor mehr als einem Jahrhundert ihren Anfang nahm.

Türmchen und Schornsteine der Hüfferstiftung Foto: Peter Leßmann
Türmchen und Schornsteine aus rotem Backstein, ein wuchtiger Giebel und geschwungene Dachgauben: Seit 1991 steht die Hüfferstiftung unter Denkmalschutz.
Treppe und Eingangstür der Hüfferstiftung Foto: Peter Leßmann
Innendesign der Jahrhundertwende: Der Fußboden gleich hinter der schweren, rundbogigen Eingangstür ist noch original.

Es war im Herbst 1888, als Wilhelm Hüffer (1821–1895) durch seinen Bruder Eduard von den vergeblichen Bemühungen des Arztes Dr. Temmink erfuhr, in Münster eine orthopädische Klinik einzurichten. „Als medizinische Disziplin hatte sich die Orthopädie erst Mitte des Jahrhunderts entwickelt“, erklärt der Städtische Archivdirektor, Dr. Peter Worm. „Die Idee entsprach also dem Zeitgeist.“ Wilhelm, der dritte Sohn des münsterschen Oberbürgermeisters Johann Herrmann Hüffer, lebte als reicher Kaufmann zwar längst in Rom, seiner Heimatstadt blieb er aber zeitlebens verbunden – und ihm gefiel offenbar der Gedanke, „arme oder wenig bemittelte Krüppel“ von ihren Wirbelsäulenverkrümmungen, den Klumpfüßen und X-Beinen zu heilen und ihnen so die Möglichkeit zu geben, selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. So wurde unter Leitung seines Neffen, ebenfalls ein Wilhelm, schon 1889 Deutschlands erste caritativ betriebene orthopädische Heilanstalt – vorerst versuchsweise – in Münster eröffnet. Schnell war die Klinik in der Bergstraße 65 so gefragt und mit etwa 800 geheilten oder in ihren Beschwerden zumindest gelinderten Patienten allein in den ersten vier Jahren auch so erfolgreich, dass ihre Kapazitäten bei weitem nicht ausreichten.

Also gründete Hüffer 1893 zunächst eine Stiftung zur „Heilung krüppelhafter Gebrechen in Münster“ und kaufte 1899 schließlich das Grundstück südlich des Schlossgartens, auf dem noch heute die imposante Hüfferstiftung steht – selbst von den Bomben des Zweiten Weltkriegs auf wundersame Weise nahezu unversehrt. Alte Schwarz-Weiß-Fotos aus den Akten der Stadtverwaltung, die frei zugänglich im Stadtarchiv lagern, zeigen das riesige Gebäude mit dem wuchtigen Giebel, den hochgezogenen Fenstern und geschwungenen Dachgauben, den Balustraden und Balkonen – übrigens verziert mit den Büsten von Hüffers Nichte Anna und seinem Neffen Ernst – noch umgeben von Natur: Die Wohnbebauung im Westen der Stadt reichte damals nur bis zur Tuckesburg.

Hüfferstiftung Münster um 1907 Foto: Stadtarchiv Münster, Sammlung Postkarten, Nr. 1255: Hüfferstiftung (ohne Ort, ohne Datum [um 1907])
Am 5. Dezember 1903 wurde der repräsentative Bau an der damaligen Fürstenstraße eröffnet. Die Wohnbebauung reichte damals nur bis zur Tuckesburg.

Rund 400.000 Mark soll der repräsentative Bau, im Neorenaissancestil vom renommierten Architekten Alexander Cazin entworfen und feierlich eröffnet am 5. Dezember 1903, damals gekostet haben. Lange Zeit sollte er eine der modernsten orthopädischen Kliniken Deutschlands bleiben: Die Patienten fuhren mit einem von Münsters ersten Personenaufzügen von Etage zu Etage, sie flanierten durch großzügige Gärten, jedes Zimmer verfügte über Zugluft. Es gab Werkstätten, in denen Prothesen angefertigt wurden, und sogar einen Behandlungsraum für die Diagnostik mit den erst 1895 entdeckten Röntgenstrahlen.

Wilhelm Hüffer Foto: Stadtarchiv Münster, Persönlichkeitensammlung
Großzügiger Stifter: Wilhelm Hüffer lebte als reicher Kaufmann in Rom, seiner Heimatstadt blieb er aber zeitlebens verbunden.

In der eigenen Turnhalle trainierte eine Art Physiotherapeut mit den Kranken, ansonsten kümmerten sich die Barmherzigen (Clemens-)Schwestern und nur zwei Ärzte um gut 160 Patienten, von denen mehr als die Hälfte der unteren Bevölkerungsschicht angehörte. Aus heutiger Sicht Sozialfälle, die in der dritten Klasse untergebracht waren und nur eine bis eine Mark fünfzig pro Tag für die Behandlung zahlten. Wer sich den Tagestarif von vier oder sogar sechs Mark leisten konnte, logierte dagegen beinahe in einem gemütlichen Wohnzimmer.

Heute eilen Studierende und Mitarbeitende von Hochschulleitung und Zentralverwaltung der FH Münster durch die ehemaligen Krankenhauskorridore. In der Eingangshalle formen rostbraune, weiße und graue Kacheln, eingerahmt von einer hübschen Blumenbordüre, ein geometrisches Muster. Der Fußboden gleich hinter der schweren, rundbogigen Holztür ist noch original. „In der Sanierungsphase war es eine besondere Herausforderung, die alten Fliesen zu schützen“, weiß Frank Renner, der zuständige Abteilungsleiter beim Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW. „Obwohl ein paar Originalfliesen tatsächlich noch im Keller lagern.“

Flur in der Hüfferstiftung Münster Foto: Peter Leßmann
Nach der Sanierung: Ein Parallelflur verkleinert die alten Patientenzimmer.

Den Südflügel hat die WWU schon für die noch anstehenden Bauarbeiten geräumt, die FH Münster konnte ihren Teil des Gebäudes bereits vor einem Jahr wieder beziehen. In den Patientenzimmern sind jetzt Büros – Schreibtische und Topfpflanzen statt Gitterbett und Bettpfanne. Im Erdgeschoss verkleinern Parallelflure die ehemaligen Mehrbettzimmer: Im Arkadengang gibt es eingebaute Sofas, damit die Studierenden sich treffen, informieren und entspannt auf den Termin bei der Studienberatung vorbereiten können. Und auf dem Dachboden, wo früher das Büro des Mensa-Küchenchefs war, sind heute ein Besprechungsraum und ein OpenSpace für Start-ups: mit New-Work-Arbeitsatmosphäre, Sofa, Kicker und extra Birkenstämmen fürs Hygge-Ambiente.

Kickertisch in der Hüfferstiftung Foto: Peter Leßmann
Wo früher der Küchenchef residierte, treffen sich heute Start-up-Gründer.

Natürlich sind das nicht die ersten Neuerungen seit Gründung der Orthopädischen Heilanstalt Hüffer-Stiftung. Schon früher gab es Erweiterungen und Anbauten: 1914 kam eine Kapelle dazu, in den dreißiger Jahren ein Schwimmbad und ein neuer OP-Trakt, 1956 ein Hörsaal. Doch auch nach der Übertragung der Stiftung an die Stadt Münster im Jahr 1922 – laut Satzung vorgesehen in dem Fall, dass eine neue Sozialgesetzgebung den Staat zur Fürsorge für orthopädisch Kranke verpflichtete – und dem 1938 erfolgten Zusammenschluss mit dem Universitätsklinikum war in diesem Gebäude über all die Zeit immer die orthopädische Klinik untergebracht.

Bibliothek in der Hüfferstiftung Foto: Peter Leßmann
Die ehemalige Kapelle wurde zur Uni-Bibliothek umgestaltet, vor den Kirchenfenstern stehen jetzt Bücherregale.

Eine echte Zäsur brachte erst das Jahr 1983/84, als die Orthopäden endgültig aus der Hüfferstiftung aus- und ins neue Zentralklinikum einzogen. Die münsterschen Hochschulen übernahmen das Gebäude: Der Rektor der Fachhochschule richtete sich im ehemaligen OP-Saal ein, die Kapelle wurde zur Bibliothek der Katholisch-Theologischen Fakultät der WWU umgestaltet – die „Pforte des Himmels“, so die Beschriftung über dem Türbogen, ist heute zugemauert; vor den bunten Kirchenfenstern stehen Bücherregale.

Die Hüfferstiftung selbst, aufgelöst und als Stiftungsfond von der kommunal verwalteten Stiftung Magdalenenhospital übernommen, ist inzwischen nahezu bedeutungslos. Ihr Vermögen, das hauptsächlich in einer Beteiligung an der Heilanstalt bestand, ging 1942 beim Verkauf der Immobilie an den Preußischen Staat und der nachfolgenden Währungsreform fast gänzlich verloren.

Baustelle hinter der Hüfferstiftung Foto: Peter Leßmann
Neues Mega-Projekt: Hinter der Hüfferstiftung, zwischen Hüfferstraße und Robert-Koch-Straße, entsteht der Campus der Theologien.

Das denkmalgeschützte Stiftungsgebäude aber sieht einer glorreichen Zukunft entgegen: Von der Dachterrasse mit ihren Türmchen und Schornsteinen aus rotem Backstein sind die Bagger und Betonmischer zu sehen, die zwischen Hüfferstraße und Robert-Koch-Straße schon die Fundamente für das neue Hochschul-Mega-Projekt, den Hüffer-Campus, vorbereiten. Mit Brücken und Treppen sollen die Neubauten später einmal dort angeschlossen werden, wo Stufen jetzt noch geradewegs auf massive Wände zuführen. Die WWU wird hier ihren Campus der Religionen einrichten und die FH Münster die Fachbereiche Gesundheit und Sozialwesen zusammenführen – und so bleibt der medizinische Geist der Stiftung doch noch irgendwie erhalten.

 

 

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