Dampflok in Lengereich Dampflok in Lengereich
Foto: Cornelia Höchstetter

Draußen

Wenn es pfeift, zischt und dampft ...

erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 118 (November 2022)

Männer mit strahlenden Kinderaugen stehen am Gleis. Am Lengericher Rangierbahnhof zischt der schwarze Koloss, 100 Tonnen schwer. Aus den Ventilen schießt Wasserdampf. Im Führerhaus schippt der Heizer die Kohle in den Ofen, genannt „Feuerbüchse“, der Dampflok 78 468. Sie gehört zur erfolgreichen Baureihe der sogenannten Preußischen T18. Baujahr 1923. Der 18-jährige Steffen Wellmann aus Hagen am Teutoburger Wald poliert von draußen mit einem Lappen Räder und Kuppelstangen, bis alles feuerrot glänzt. Franz Josef Schulte aus Ibbenbüren klettert zum Kessel und steht direkt unter dem Schornstein. Kleine Rauchwölkchen in Grau schweben gegen den blauen Himmel – als ob im Inneren ein Pfeifenraucher Kringel bläst.

LENGERICHER EISENBAHN TRADITION

Steffen Wellmann, Franz Josef Schulte und weitere zehn Mann sind Teilnehmer beim sogenannten „Dampflokseminar“ des Fördervereins für Eisenbahn-Tradition aus Lengerich. Der Verein mit 60 Mitgliedern hat sich im Rangierbahnhof eingemietet, pflegt einen musealen Fuhrpark aus Dampf- und Dieselloks sowie Güter- und Personenwaggons aus den 1920er Jahren. Zweimal im Jahr bietet der Verein für knapp 400 Euro ein Wochenende rund um die Technik der alten Dampfloks an. Steffen Wellmann schwärmt: „Es ist unglaublich, wenn man mit Hilfe von Feuer und Wasser die Eisenbahn in Bewegung setzt.“ Die Erfindung dieser Technik stellte immerhin im 19. Jahrhundert die Welt auf den Kopf.

Franz Josef Schulte auf der Dampflok in Lengerich Foto: Cornelia Höchstetter
In Lengerich sind die einzigen Dampfloks im ganzen Münsterland stationiert. Franz Josef Schulte poliert die Front. Wenn unterwegs (rechts) die Lok einmal kurz pfeift, heißt das: Achtung! – etwa vor den Bahnübergängen.

IN RHEINE STOPPTE DIE LETZTE LOK

In Deutschland hat das Eisenbahnzeitalter 1835 mit der ersten Fahrt des „Adler“ von Nürnberg nach Fürth begonnen. Fast 150 Jahre lang rauchten die Schlote der Lokomotiven und standen für den wirtschaftlichen Aufschwung. Die letzte Dampflok der Deutschen Bahn wurde 1977 im münsterländischen Rheine stillgelegt. Ab dem 27. Oktober 1977 galt ein Dampflokverbot – Diesel- und Elektroloks haben die rauchenden Schlote abgelöst. Erst ab 1985 lockerte sich das Verbot und es gründeten sich Vereine, die die alten Loks retten und mit Nostalgiefahrten am Leben halten. Etwa 100 Loks sind noch in Betrieb.

„Es dauert Stunden, bis die Lok fahrbereit ist. Alles ist aus Metall und muss langsam erwärmt werden – da braucht man viel Fingerspitzengefühl.“

 
CHRIS HOBUSCH, 2. VORSITZENDER DES VEREINS EISENBAHNTRADITION
Seminarteilnehmer vor der Dampflok in Lengerich Foto: Cornelia Höchstetter
Seminarteilnehmer an den Gleisen – die Dampfloks aus Lengerich fahren auf einer 1435-Millimeter-Spur wie moderne ICE-Züge.

DIE FASZINATION DES DAMPFES

Die Dampflok 78 468 steht im Mittelpunkt des Lengericher Seminars: „Das Größte ist: Jeder von uns darf die Lok auf dem Rangierbahnhof hin und herfahren – dafür alleine würde ich das Seminar noch einmal machen“, schwärmt Teilnehmer Stefan Kretschmer. Um die Lok in Bewegung zu setzen – was man übrigens als Passagier im Waggon kaum spürt – legt der Lokführer den Regler mit der Hand um. Immer dabei sind die geprüften Lokführer des Vereins, die einen langen Ausbildungsweg hinter sich haben. Etwa Chris Hobusch, 33 Jahre alt und zweiter Vorsitzender im Verein. Er erzählt vom Gefühl im Führerstand: „Man fährt mit offenen Ohren. Lauscht, ob die Stangen nicht klappern und die Auspuffgeräusche gleichmäßig sind.“

Führerhaus der Lengericher Dampflok Foto: Cornelia Höchstetter
Kontrollanzeigen im Führerhaus für Heizung und Speisepumpe.
Räder der Lengericher Dampflok Foto: Cornelia Höchstetter
Mensch und Maschine – vor der Fahrt werden die Antriebsstangen nachgezogen.

Chris Hobusch kann sich gut erinnern: „Als Zehnjähriger sah ich den Qualm und bin seitdem hängengeblieben.“ Er ging zum Bahnhof und durfte gleich mithelfen. „Zuerst mussten wir Kinder das ‚Benehmen im Gleisbereich‘ lernen“, erzählt er. „Für uns Kinder war immer jemand da, der unsere Fragen beantwortete. Wir kontrollierten Fahrkarten und bewachten die Fahrräder im Waggon ...“

Ein Gepäckwagen für Radfahrer ist auf den Pendelfahrten fast immer dabei. Wer ohne Fahrrad kommt, sitzt entweder auf der Holzbank der dritten Wagenklasse oder zahlt einen Aufpreis für Polstersitze. Unterwegs dürfen Passagiere auf der Plattform stehen oder die Fenster öffnen und den Kopf in den Fahrtwind strecken. Auf der Toilette gibt es noch den drehbaren Seifenspender. Einer der Waggons hat sogar eine Theke und viel Platz. „Die rollende Tanz- scheune“, nennen das die Vereinsleute. Charterfahrten von Hochzeitsgesellschaften oder Firmengruppen finanzieren den Erhalt des historischen Fuhrparks.

Abteil in der Lengericher Dampflok Foto: Cornelia Höchstetter
Noch knapper als heute die Gepäckablage im Abteil.
Speisewagen in der Lengericher Dampflok Foto: Cornelia Höchstetter
Formschön: Speisewagen in den 1920er Jahren. Auf den Pendelfahrten gibt es heute Kaffee und Kuchen.

FRAU AM STEUER

Im Verein der Eisenbahn Tradition steht auch eine Frau am Regler: Michaela Quante ist eine von drei Dampflokführerinnen in ganz Deutschland und in der vierten Generation Eisenbahnerin. „Ich versuche, Frauen für die Technik zu begeistern!“ Sie hat auch eine Antwort auf die Frage der Umweltbelastung: „Natürlich ist Kohle keine regenerative Energie. Aber unter dem Strich sind der CO2-Ausstoß von 200 Pkws auf einem Ausflug durch das Münsterland und der Dampflok auf Schienen und mit mindestens 200 Personen in den Waggons gleichwertig.“ Die Investitionen würden sich lohnen: „Hier erleben Menschen und vor allem die junge Generation unsere Geschichte der Mobilität und unserer Industriekultur. Die Loks bewegen sich, es riecht, man spürt die Wärme und hört Pfeifen und Zischen. Hier kann man Technik noch mit allen Sinnen erleben und begreifen – was heute in der Computertechnik nicht mehr möglich ist. Technik von heute ist fast immer verborgen.“ Die Dampflokführerin lädt nach Lengerich ein: „Wir freuen uns über jeden, der im Verein mitwirken möchte. Es wird jeder eine Aufgabe bekommen!“ So wie die Seminarteilnehmer – am Ende des ersten Tages heißt es für die zwölf Männer: Wasser fassen, Ausschlacken, Lösche ziehen, Kohle laden, Abölen. Abstellen der Lok zur Nachtruhe. Morgen geht es auf große Fahrt.

Zugpersonal in der Lengericher Dampflok Foto: Cornelia Höchstetter
„Einsteigen bitte!“ – Zugpersonal wie anno 1920.

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