Alter Fischmarkt
Foto: Roland Borgmann

Architektur

Von Hasardeur bis Tartastan

Das Interview erschien in Münster Urban #4

Der Alte Fischmarkt zählte über Jahrhunderte zu den wichtigsten Straßen der Innenstadt. Auf alten Karten wird er als die Verlängerung des Prinzipalmarktes betont. In der Nachkriegszeit wurde der Straßenzug allerdings planerisch zur Einfallsschneise für Gelenkbusse degradiert. Spätestens seit der Eröffnung des Gebäudekomplexes Alter Fischmarkt im September 2013 knüpft er allerdings an seine alte Bedeutung an – was sich auch zählbar niederschlägt. Die gemessene Passantenfrequenz steigt seither deutlich.

Wir sprachen mit Investorin Isabella Lohmann, Architekt Jörg Preckel und Walter Druschke, Vorstandsvorsitzender der Werbegemeinschaft Alter Fischmarkt Münster e.V., über die lebendige Traditionsmeile.

Zwar ist der Alte Fischmarkt mit gut 150 Metern eine der kürzesten Straßen der Innenstadt. Dennoch bietet er eine urbane Bandbreite sondergleichen: Wohnraum, Büros, edle Stores aus dem Fashion- und Luxussegment, studentische Partylokale und einen vor allem nachts sehr frequentierten Schnellimbiss. Mit dem Satz „Das reicht von Hasardeur bis Tatarstan“ beschreibt Preckel, selbst mit seinem Büro Anlieger, also nicht nur die geografischen Endpunkte, sondern auch den Urbanitätsfaktor der Straße.

Vogelsperspektive Alter Fischmarkt Foto: Büro Pfeiffer Ellermann Preckel

Seit der Eröffnung des Gebäudekomplexes Alter Fischmarkt gehört die Straße bei den jährlichen Passantenfrequenzmessungen eindeutig zu den großen Gewinnern. Ein Plus von 36 Prozent in den letzten fünf Jahren. Eine Erfolgsgeschichte?

Jörg Preckel: Wir wollten hier städtebaulich das, was Münster qualitativ stark macht, gleichsetzen mit dem, was in den Häusern passiert: Top-Läden und Top-Städtebau. Deshalb haben wir hier nicht drei Geschosse voller Handel mit irgendeiner Marke. Das einfachste Konzept wäre ein einziger Mieter gewesen. Und glauben Sie mir: Es gab reichlich Interessenten, die 4.500 Quadratmeter an einem Stück mieten wollten. Das wäre für Lohmanns das einfachste Spiel gewesen. Wir wären drei Jahre eher fertig gewesen.

Isabella Lohmann: Wir haben diesen Hof lange diskutiert wegen des Verzichts auf Mietflächen. Durch die dadurch kleineren Einheiten wurde ja auch das Vermietungskonzept ohne Großmieter zementiert. Heute sind wir sicher, dass die Entscheidung richtig war.

Jörg Preckel: Dieser Luxus eines Platzes: Man hätte hier vier Geschosse bauen dürfen. Die Bauherren haben auf fast 1.500 Quadratmeter Handelsfläche verzichtet. Das ist eine große Geste des Investors, so einen Platz zu liefern. Das muss man auch mal sagen. Heute ist gerade dieser Platz ein Grund für den Erfolg. Das Nachkriegs-Verkehrskonzept sah für den Alten Fischmarkt eine Rolle als Nebenlage mit Verkehrserschließung vor. Wir haben hier jetzt wieder das gleiche Qualitätsprinzip angesetzt wie am Prinzipalmarkt: giebelständige Kontorhäuser. Jedes Haus hat eine andere Fassade, einen eigenen Namen, einen anderen Mieter. Die Entwicklung der Frequenzen belegt das. Hier laufen tausende von Menschen durch, die Spaß haben und gern auf diesem Platz sitzen. Und alle sagen: Ist das toll, was hier entstanden ist.

Foto: Stadtarchiv Münster
Bis vor dem Zweiten Weltkrieg markierte das selbstbewusste Portal einer großen Bank das Entree in die Altstadt.
Foto: Büro Pfeiffer Ellermann Preckel
Nach dem Krieg nahm sich der Neubau der Deutschen Bank von Harald Deilmann zurück, um Platz für eine Abbiegespur zu schaffen. Der Lohmann'sche Neubau (siehe Titel) von 2013 gibt sich dagegen wieder einladend-markant.

Sind Sie denn mit dem Aufwärtstrend zufrieden? Vielen geht es ja nicht schnell genug!

Walter Druschke: Das ist immer das Problem des Handels. Wie schnell ändern sich die Laufwege? Die Betreiber hier sind ja keine Ketten, sondern meist selbständige Unternehmer. Die mussten richtig Geld in die Hand nehmen, um so einen Laden zu eröffnen. Das erzeugt Druck. Wir sind aber nicht unzufrieden. Wir machen aber auch gemeinsam viel, um Menschen in die Straße zu holen.

Isabella Lohmann: Durch nunmehr sechs qualitativ hochwertige Veranstaltungen, die komplett eigenfinanziert sind – wie etwa das Schaulaufen auf dem grünen Platz beim Schauraum, SwingingFischmarkt, SweetClassic – sorgen wir über das gesamte Jahr für wechselnde Attraktionen. In diesem Jahr werden wir mit der Werbegemeinschaft erstmals einen eigenen Kinderweihnachtsmarkt haben.

Jörg Preckel: Während des Schauraums war der Platz jeden Abend voll. Vor allem mit Gästen von außerhalb. Da war der Bär los. Die Menschen sehen: Das ist ein neuer Ort mit Aufenthaltsqualität. Sagen Sie mir irgendeinen Stuhl in Münster, wo Ihnen nicht vom Bus der Hintern abgefahren wird, wenn Sie draußen sitzen. So gern ich bei Stuhlmacher sitze. Aber um sich ohne Radfahrer im Rücken zu unterhalten, gehe ich lieber hierher. Wo sonst finden Sie so einen Platz? Vielleicht noch im Oerschen Hof …

Isabella Lohmann: Der Platz ist eine kleine Oase der Ruhe mitten in der Innenstadt geworden und akzeptiert.

Foto: Peter Leßmann

Jetzt läuft die aufsteigende Tendenz der Straße ja gegen die Frequenzprobleme aller deutschen Städte – Stichwort Internet. Schwierige Zeiten für den Handel. Erhöht das nicht den Handlungsdruck?

Walter Druschke: Wären wir 10 bis 15 Jahre vorher da gewesen, wäre es viel einfacher geworden. Die Modehändler haben in Deutschland im September 15 Prozent weniger Umsatz im Vergleich zum Vorjahr gemacht. Angesichts dieser Entwicklungen müssen wir hier doppelt Gas geben. Wir müssen den Menschen vermitteln, dass wir hier Mehrwert bieten – etwa den Kinderweihnachtsmarkt, hier bieten wir Musik, Märchenerzählungen, Backaktionen und vieles mehr. Jede Veranstaltung ist nur ein Detail. Aber die Details fügen sich.

Jörg Preckel: Umso schöner, dass es jetzt auch eine richtig gute Eisdiele gegenüber an der Hörsterstraße gibt. Diese Eisdiele hätte dort nie eröffnet, wenn der Alte Fischmarkt sich nicht so entwickelt hätte.

Der Handel steht bundesweit unter Druck. Viele sagen aber auch: Wenn sich ein Standort behaupten kann, dann Münster. Es gibt überregional eine grandiose Bindung vieler Menschen an diese Stadt.

Walter Druschke: Ich kann das bestätigen. Wir merken das auch im Store. Viele, die hier studiert haben, kommen gern immer wieder hierher. Alte Stammkunden finden auch nach Jahren den Weg zurück. Sie verbinden einen Shopping-Aufenthalt in der Stadt etwa mit dem Besuch des Wochenmarktes. Wir haben hier eine hohe Aufenthaltsqualität, die wir durch individuelle Handelskonzepte weiter unterstützen müssen. Die Menschen kommen gern hierher. Und sie kaufen gern.

Walter Druschke Foto: Peter Leßmann
„Die Modehändler haben in Deutschland im September 15 Prozent weniger Umsatz im Vergleich zum Vorjahr gemacht. Angesichts dieser Entwicklungen müssen wir hier doppelt Gas geben.“ Walter Druschke
Isabella Lohmann Foto: Peter Leßmann
„Wir haben diesen Hof lange diskutiert. Heute sind wir sicher, dass die Entscheidung richtig war. “

Um attraktiv zu sein, muss der Standort Neues bieten. Und Individualität! Brauchen wir nicht mehr bezahlbare Flächen, um Raum für inhabergeführte innovative Konzepte zu bieten?

Diese Diskussion finde ich abträglich. Das wäre der Abgesang der Innenstadtlage. Münster ist eine Ringstadt, in der sich Lagen ringartig entwickeln. Im Handel übrigens ebenso wie beim Wohnen. Genauso unsinnig, wie es ist, auf dem Prinzipalmarkt Sozialwohnungen zu verlangen, ist es auch, den Glasperlenverkäufer unter den Bögen zu erwarten. Das ist Blödsinn. Dann kann ich die freie Marktwirtschaft abschaffen. Wir müssen kapieren, dass wir Lage für Lage aus dem Zentrum heraus entwickeln sollten. Das ist in Rom, Paris, Mailand so und auch in Münster. Die Querstraßen und Verbindungen zwischen den A- und B-Lagen sollten dann natürlich auch erschlossen werden. Und da gibt’s dann reichlich Platz für Ihre individuellen Konzepte. Dafür hat Hartwig Schultheiß immer gekämpft und ja auch sehr viel erreicht. Sie müssen hier nur aus dem Fenster schauen. Hier gibt’s ringsum in sehr zentralen Lagen weder vernünftige Handelsflächen noch vernünftige Wohnungen. Das ist alles der berühmte Wiederaufbau aus den 1950 er und 1960 er Jahren hinter den Giebeln. Einige leisten sich hier in der Mitte noch Garagenhöfe. Da ist Potenzial ohne Ende für bezahlbare Handelslagen. Die A-Lagen durch die Innenhöfe vernetzen! Ich war gestern noch in Wien. Dort funktioniert das perfekt. Sie haben die Hauptwege und müssen nur einmal um die Ecke gehen und finden dann die kleine Galerie, den kleinen Store, alle inhabergeführt. Man muss von diesen Städten lernen. Das ist aber vor allem eine Frage des Städtebaus und nicht der Mietpreisbremsen. Es ist kontraproduktiv, wenn in der A-Lage für 20 Euro vermietet werden muss. Wenn einer Geld in die Hand nimmt am Prinzipalmarkt, am Roggenmarkt, auf dem Alten Fischmarkt oder wo auch immer, muss man ihm auf die Schulter klopfen. Und was macht Münster? Erstmal westfälisch Distanz aufbauen und hinterfragen, ob das denn nach Münster passt! Schauen Sie sich die Leffers-Immobilie an. Haben Sie schon einmal einen Satz darüber gelesen, dass es aller Ehren wert ist, wenn ein Familienunternehmen wie die Brenninkmeyers so viel Geld in der Salzstraße investiert? Nein, da wird nur über Staub und Lärm geschrieben. Auch das ist Münster.

Jörg Preckel Foto: Peter Leßmann
„Genauso unsinnig, wie es ist, auf dem Prinzipalmarkt Sozialwohnungen zu verlangen, ist es auch, den Glasperlenverkäufer unter den Bögen zu erwarten.“ Jörg Preckel

Was halten Sie von den Plänen, ein Haus der Musik mit Musikschule, Musikhochschule und Konzertsaal auf dem Hörsterplatz hier direkt in der Nachbarschaft anzusiedeln?

Jörg Preckel: Der Hörsterplatz ist zu klein für diese Lösung. Da gehört ein vernünftig verdichtetes Wohnen hin und Einzelhandel, der aber auch nur an der Hörsterstraße. Schauen Sie sich das Theater an. Eines der schönsten Gebäude Münsters. Aber ich guck den ganzen Tag drauf. Erst um 20 Uhr ist da Licht. Und vorher ist das tot. Wollen Sie den Studenten der Musikhochschule pro Stunde vier Euro fürs Parken abnehmen, weil der Grundstückspreis über 1.000 Euro pro Quadratmeter liegt? Manche Politiker meinen ja auch, man könnte bei Bodenrichtwertpreisen von 1.400 Euro pro Quadratmeter 20 oder 30 Prozent sozialen Wohnungsbau verlangen. Das ist das ganz kleine Einmaleins. Da gibt es teilweise erschreckende Ansichten in Sachen Urbanität. Als wir den Umbau der ehemaligen Dresdner Bank in einer Fraktion vorgestellt haben, sagte eine Lokalpolitikerin: „Wir brauchen hier keinen weiteren Einzelhandel. Ich wäre froh über einen weiteren McDonald’s.“ Das war die verheerende Kernbotschaft aus einer großen Volkspartei an den Bauherren.

Innenhof Alter Fischmarkt Foto: Büro Pfeiffer Ellermann Preckel
Für Investorin Isabella Lohmann eine neue „Oase in der Innenstadt“. Der Innenhof.

Frau Lohmann, Sie haben hier auch Wohnraum und Büros geschaffen …

Isabella Lohmann: Ja, hier arbeiten 300 Menschen. Wir haben Wohnraum geschaffen und zudem Dachgärten angelegt, damit es auch was fürs Auge gibt. Wenn man in der alten Deutschen Bank in den Büros saß und rausschaute, sah man nur eine furchtbare Dachpappenlandschaft.

Jörg Preckel: Wir haben noch nie so viel Dachpappe entsorgen müssen. Wer ein Quartier bewerten will, sollte sich ein Abend- oder Nacht-Foto anschauen. Hier sehen Sie durch die Büros und Wohnungen auch abends Lichter bis unter das Dach. Das ist Urbanität. Wir leben hier auch mit Schwarzem Schaf* und Bullenkopp*. Da muss man niemandem erklären, was das heißt.

Isabella Lohmann: Wir haben uns zusammengesetzt und Regelungen gefunden. Und es funktioniert. Es geht ja gerade nicht darum, eine Hochglanzstraße zu realisieren.

Jörg Preckel: Hier am Alten Fischmarkt reicht das Spektrum von Hasardeur bis Tatarstan. Wir sind genau das, was die Initiative Starke Innenstadt sich immer wünscht.

*„Schwarzes Schaf“ und „Bullenkopp“ sind zwei sehr beliebte Partylokale, die beide nachts erst um 3 Uhr schließen.

Foto: Büro Pfeiffer Ellermann Preckel
Das Nachtbild zeigt: Auch abends ist Leben im Gebäudekomplex „ Alter Fischmarkt“, andere Hinterhofbereiche im Umfeld sind dagegen tiefschwarz.
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