Zu Fuß
Weiche Schale harter Kern
Schau’ ins Land: Mit solchen Ausblicken geizt das Münsterland – aber wer auf der Bank an der Burgmauer von Stromberg sitzt, vor dem breiten sich Wiesen und abgeerntete Felder, sich herbstbunt färbende Apfel- und Pflaumenbäume, verstreute Höfe und Wälder aus. Bei klarem Wetter sieht man von den Ausläufern der Beckumer Berge über das Gaßbachtal. „Das ist der Balkon von Stromberg“, findet Stadtführerin Dorothee Linnenbrink-Stehmann.
Burggeschichte, Pilger & Pflaumen
Nicht nur wegen des Weitblicks lockt der Ort Stromberg in den östlichen Kreis Warendorf. Hier steht auf 150 Metern über Normalnull die Burgruine, Überbleibsel der einzigen Höhenburg unter all den Wasserschlössern in der Region. Hier zieht es die Pilger regelmäßig zur gotischen Wallfahrtskirche Heilig Kreuz. Im Sommer kommen Theaterfreunde zur Freilichtbühne, die auf den Treppen der Kirche stattfindet. In diesem Jahr wurden die Stücke Mephisto und Emil und die Detektive aufgeführt. Nicht zu vergessen: die Stromberger Pflaume. Ihr ist nicht nur eine Schutzgemeinschaft, ein Markt (normalerweise im September, dieses Jahr aus den bekannten Gründen nicht) und eine Königin gewidmet, sondern auch der Pflaumenweg (siehe unten). Gut ausgeschildert führt er durch und halb um Stromberg. Auf zehn Kilometern verteilen sich neun Stationen, die mehr über das blaue Gold des Münsterlandes verraten.
Eintauchen unter dem Paulustor
Wer lieber spaziert als wandert, kann auch gut auf der Höhenburg bleiben. Den Kreuzweg um die Wallfahrtskirche und die Ruine schafft jeder und auch hier bekommt man viel von der Natur und von Strombergs Geschichte mit. Die Stadtführerin Dorothee Linnenbrink-Stehmann erzählt aus der Zeit der Raubritter, die ab etwa dem 11. Jahrhundert den Burgberg als Wohn- und Verteidigungssitz eingenommen hatten. „Der abfallende Hang bot der Höhenburg Sicherheit, so wie es die Gräften der Münsterländer Wasserschlösser tun. Zwei Gräften hatte die Stromberger Burg auch: links und rechts neben dem Paulustor.“
So tief wie das Tor hoch
Dorothee Linnenbrink-Stehmann zeigt bei ihrer Stadtführung gerne den Brunnen, der damals die Ritter mit Wasser versorgte. „Der ist 30 Meter tief, genauso wie das Paulustor hoch ist.“ Es gäbe eine Legende, die behauptet, dass dieser Brunnen nie trockengefallen sei, so die Stadtführerin. Und heute? Der Brunnen ist abgedeckt mit einem Bronzerelief der Künstlerin Regina Liekenbrock. Die Stromberger Künstlerin wohnt genau gegenüber in dem hübschen Fachwerkhaus, das rückseitig an der Burgmauer gebaut wurde. Beneidenswert – denn einige Fenster zeigen zum Tal mit der schönen Aussicht hin.
„Die Stromberger Pflaume ist die Beste und ist für alles einsetzbar: für Marmelade, für Kuchen oder zum erntefrischenVerspeisen.“ CLAUDIA STEMICH
Pflaumen mit weicher Haut
Jenseits des ein oder anderen Hügels liegt der Pflaumenhof Stemich. Seit ungefähr 1902 existiert er. Schon die dritte Generation macht mit Michael Stemich auf zehn Hektar „in Pflaumen“. Claudia Stemich aus der zweiten Generation erzählt: „Wir bauen insgesamt zehn Sorten an.“ Ihr Mann Gerhard testet immer wieder neue Sorten und im Hoffladen in Nottbeck 4 kann man zur Erntezeit probieren: Top Taste, Top Five, Jojo oder Auerbacher heißen sie. „Die Auerbacher Pflaume eignet sich besonders zum Kuchenbacken, während Jojo dazu zu groß ist“, erzählt die Pflaumenexpertin. Und natürlich: „Die Stromberger ist die Beste und ist für alles einsetzbar: für Marmelade, für Kuchen oder zum erntefrischen Verspeisen.“ Sie habe keine harte Haut, sei leicht zu entsteinen und schmeckt je nach Erntezeitpunkt säuerlich oder süßlich. Unser Tipp für alle, die zu spät zur Ernte kommen: das Pflaumenmus aus dem Hofladen von Stemichs. Das kocht Claudia Stemich noch nach Großmutters Rezept.
Das Blaue Wunder von Stromberg
Warum gibt es eigentlich ausgerechnet in Stromberg bei Oelde solche dicken Pflaumen? Die Tradition des Pflaumenanbaus in Stromberg reicht bis ins Jahr 1790 zurück. Amtsschreiber (eine Art Finanzbeamter im Steuerwesen eines Ortes) Ludwig Niedieck reiste vom Münsterland aus nach Frankreich und Spanien und brachte aus welchen gründen auch immer eine dort beheimatete Pflaumensorte mit. Glück oder Berechnung: die südländische Pflaume schlug in Stromberg Wurzeln. Der Mergelboden und das Klima passten gut. Die sanften Hügel Strombergs schützten die zarten Pflänzchen vor Nord- und Ostwinden. Die Münsterländer verarbeiteten die blauen Früchte in Pflaumenmus, das sich lange hält, schmeckt und satt macht. Um die besondere Pflaume zu erhalten, gründeten im Jahr 2008 die Produzenten die „Schutzgemeinschaft Stromberger Pflaume e.V.“ und ließen die Pflaume bei der EU mit dem Zusatz „g.U.“ eintragen. Das Kürzel steht nun seit 2013 für eine geschützte Ursprungsbezeichnung der Stromberger Pflaume. Das bedeutet, dass die Pflaume nur im Ort Stromberg und im Umkreis von 500 Meter wachsen darf und nach bestimmten Verfahren geerntet und verarbeitet wird. Im Sommer und Herbst gibt es dann die frischen Pflaumen und Produkte wie Pflaumenmus und mehr in den Hofläden, bei Familie Stemich und den anderen Produzenten oder in regionalen Supermärkten. Inzwischen bauen sie über zehn verschiedene Sorten an, um die Erntezeit zu verlängern. Etwa 15.000 Bäume liefern jährlich rund 6.590 Tonnen Pflaumen. Mehr Infos; stromberger-pflaume.de
pflaumenglück auf zehn kilometern
Ausgangs- und Zielpunkt: Die alte Vikarie in der Münsterstraße 37 in Oelde-Stromberg
Länge: 10,9 km Reine
Gehzeit: 3,5 Stunden
Höhenunterschied: ↗ 110 m ↘ 110 m, mittelschwere Wanderung über hügelige Kulturlandschaft
Markierte Wanderwege: als Pflaumenweg ausgeschildert
Der Pflaumenwanderweg ist nicht nur auf der Stromberger Seite veröffentlicht. Auch der Münsterland e.V. hat den Weg in seine Kollektion aufgenommen. Das Münsterland ist mit inzwischen 140 Touren in der App des Freizeitplaners komoot vertreten. Verteilt sind die auf 21 sogenannte „Collections“, also Sammlungen von mehreren Touren zu einem Thema oder einer Route. Um einfach und problemlos durch die Münsterländer Parklandschaft navigiert zu werden, müssen Ausflügler nur die komoot-App herunterladen, sich eine Route aussuchen und können direkt mit dem Handy als Navi starten. Der Pflaumenweg ist ebenfalls dort zu finden.
Mitten in Stromberg läuft man von der Alten Vikarie (1) los Richtung Norden, erst einmal entlang der Straßen Kreuzweg und Limberger Weg, dann rechts zur zweiten Station (2), zum Meierhof Limberg. Und durch den Wald und über Felder zur Station 3, dem Pflaumenhof Stemich (3).
Dort kann man zur Erntezeit im Sonntagscafé einkehren oder den Pflaumenernter bewundern: Der Vollernter ist 14 Meter lang. Er passt zwischen den Baumreihen durch. Sogenannte Greifer fahren aus und rütteln den Baum. Die reifen Pflaumen fallen auf das zuvor per Hand ausgebreitete Laken. Maschinell wird es eingezogen, die Pflaumen kullern auf das Förderband, werden vom Laub freigepustet und kullern auf nach Größe sortierten Bahnen in die Erntekisten. „1960 ist man noch selber in die Bäume gestiegen und hat gepflückt“, weiß Claudia Stemich.
Über den Weg Zur Marburg geht es über Station (4) zur Station (5). Station (6) ist der Aussichtsturm „Auf dem Berge“. Bergauf führt der Wanderweg zur Lambertikirche (7) und mit einem Bogen zur Station (8), unterwegs sieht man schon die Ruine und die Burg Stromberg, die letzte Station (9). Dort steht das wohl älteste Burgmannshaus Westfalens. Hier residierte unter anderen die Ritterfamilie von Nagel und von Mallinckrodt. Heute ist in dem nach ihnen benanntem Mallinckrodthaus ein kulturelles Zentrum und eine Begegnungsstätte der Pfarrgemeinde. Als das Stromberger Burggeschlecht ausstarb, übernahm Münsters Fürstbistum die Burg und den Titel der Burggrafen. Sicher ist sicher, mögen sich die Geistlichen in der Stadt gedacht haben, denn die strategische Lage der einzigen Höhenburg war wohl zu wichtig, um das Bistum zu sichern. Laut Strombergs Stadtgeschichte schlug dennoch 1780 die endgültig letzte Stunde der Burganlage, als die Reste des Verteidigungssystems auf Befehl des Bischofs Maximilian Ferdinand zerstört wurden. Übrig blieb der auch der 30 Meter hohe Paulusturm. Unter seinem Dach hängt und läutet die Kirchglocke, die historische Pilgerglocke aus dem 13. Jahrhundert. Denn die Heilig-Kreuz-Kirche selbst hat keinen Glockenturm. In der gotischen Wallfahrtskirche, die an der Stelle der 1316 abgebrannten Burgkapelle errichtet wurde, hängt die Reliquie: Ein Holzkreuz aus dem 11. Jahrhundert, das einer der Burggrafen geschenkt bekam. Es ist überzogen mit dem Silber eingeschmolzener Votivgaben, die die Pilger brachten, mit der Hoffnung, gesund zu werden. Auch zum Kreuz gibt es jede Menge Legenden: dreimal soll es verschwunden und wieder aufgetaucht sein.
Durch das Paulustor geht es zurück zum Ausgangspunkt.