Mit dem Fahrrad
Im Land der Tödden
Städtchen mit Fachwerkhäusern, Cafés in der Fußgängerzone, der Mittellandkanal mit Frachtschiffen, Rasthütten mit Erinnerung an den ersten Kohleabbau in der Region. Felder und Wiesen mit weitem Blick über das Land, dann taucht man wieder hinein in einen schattigen Wald. Dort trifft man – selten genug im Münsterland – auf die Herausforderung, ein paar Kilometer mit bis zu zehn Prozent Steigung bergauf zu treten.
Von den vielen Themenwegen auf den insgesamt 4500 ausgeschilderten Radwegkilometern im Münsterland ist der Töddenland-Radweg im Tecklenburger Land einer der Touren, die den größten Kontrast bieten. Dieser Teil Westfalens war etwa vom 17. bis ins 19. Jahrhundert berühmt für sein Leinengewerbe. Auf den Feldern wurde Flachs angebaut und die daraus gewonnenen Fasern webten meist die Frauen in Heimarbeit am Webstuhl zu Leinenstoffen. Einer historischen Karte auf www.westfaelische-zeitschrift.lwl.org zufolge gab es im Kreis Tecklenburg im Jahr 1828 mehr als 58 Webstühle pro tausend Einwohner. Rabea Eßlage vom Tourismusamt Mettingen erzählt: „70 Prozent aller Mettinger Familien im 18. und 19. Jahrhundert hatten mit Leinen zu tun“.
AUF DEN SPUREN DER REISENDEN HÄNDLER
Die Tödden, die ihren Namen für diese Route geben, waren reisende Händler, die den Leinenstoff aufgewickelt unterm Arm trugen. Sie kamen aus dem südlichen Emsland und aus dem Tecklenburger Land – beides bildete früher die Grafschaft Lingen. Die Tödden brachten Stoffe und manch’ anderes in die Niederlande, um sie dort zu verkaufen. Aus solchen Töddenfamilien entwickelten sich einige Textilunternehmen, die heute jeder im Land kennt: Hettlage, Peek&Cloppenburg und C&A.
Erst waren die Niederlande das Ziel der Tödden, je erfolgreicher sie wurden, desto weiter aber führten die Reisen. Richtung Bremen und Hamburg, sogar nach England oder ins Baltikum reichten die Handelsbeziehungen. Um das Verkaufsgebiet gut zu versorgen, entstanden Netzwerke, auch mit Fuhrleuten und Schiffern, die sich um Transport und um Zwischenlager kümmerten. Wichtig blieb den Tödden beim internationalen Handel immer der Glaube an die Heimat und an ihre katholische Kirche. Stiftungen an diese waren deshalb nicht unüblich.
DIE TÖDDEN AUS RECKE
Eine solche soziale Ader hatte beispielsweise der Tödde Benedictus Huster aus Recke. Er stiftete das damalige St.-Benediktus-Hospital, das heute ein Alten- und Pflegeheim ist. Eine Bronze-Büste steht ihm zu Ehren vor dem Alten Gasthaus Greve in Recke. Auch die Gastwirtschaft in Recke erzählt Töddengeschichte: es war der Treffpunkt der Händler, die sich in ihrer eigenen Sprache unterhielten. Daher noch die Worte „der Stift“ für den Auszubildenden oder „Flunkern“ für Lügen. Ähnlich wie Masematte war die Töddensprache keine komplette Sprache, aber es gab viele spezielle Ausdrücke, mit denen die reisenden Händler jeglichen Lausch-Angriff unterbinden wollten. Vor allem bei Themen, wie man etwa den Zoll an der Grenze umgehen kann …
DIE C&A-STADT METTINGEN
In Mettingen hießen die Tödden im lokalen Dialekt „Tüötten“. Über den Innenhof des Hotelrestaurants Haus Telsemeyer erreicht man das „Tüöttenmuseum“, das aus drei Fachwerkhäusern besteht: ein Originalhaus der Familie Herkenhoff, ein Nachbau des Ackerbürgerhauses der Familie Hemmelgarn und ein Nachbau eines Heuerhauses des Brenninckhofes. Der Hof steht heute noch am Rande Mettingens in Wiehe. Er ist die Keimzelle der Familie Brenninkmeijer. Im Jahr 1841 gründeten die Brüder Clemens und August Brenninkmeijer das erste C&A-Kaufhaus in Sneek in den Niederlanden.Das Ende der glorreichen Tödden-Zeit läutete die Industrialisierung ein. Baumwolle kam auf, Leinen verlor an Bedeutung, die ersten Ladenlokale ab Mitte des 19. Jahrhunderts machten den zeitaufwändigen Handel der Wandersleute nach und nach überflüssig. Wer noch mehr über die Tour und die Zeit der Tödden erfahren möchte, muss sich etwas gedulden: Die Radkarte und der Flyer sowie die Homepage des Töddenland-Radweges werden zurzeit aktualisiert. Ab etwa Oktober gibt es dann Hörspiele für das Smartphone der Fahrradfahrer. Dann fällt das Bergaufradeln noch leichter.
TÖDDENLAND-RADWEG
Um die Spuren der Tödden nachzufahren, geht es an den Rand des Münsterlands ins Tecklenburger Land und teils sogar über die Grenze nach Niedersachsen, quer durch das südliche Emsland. Die komplette Tour ersetzt also eine kleine Urlaubsreise in die Ferne. 122 Kilometer lang ist der Rundkurs und eignet sich für eine Zwei- oder Drei-Tagestour. Wir haben uns eine Teilstrecke für einen Tag ausgesucht. Der Start der Tour beginnt in Recke am Markt. Dort ist ein Denkmal der Töddenfamilie Huster vor dem Alten Gasthaus Greve gewidmet. Richtung Südwesten geht es raus aus dem Städtchen über die Recker Aa, über den Wiesengrund auf den Radweg parallel zur Recker Straße. Ein Abstecher zum Heimat- und Korbmuseum „Alte Ruthemühle“ und weiter ein Stück am Mittellandkanal entlang. Ab hier folgt man immer dem roten Fahrradschild Richtung Mettingen, hier mit dem Logo des Töddenlandradweges: ein weiß-roter Kiepenkerl mit Fahrradlenker. Über den Ort Steinbeck geht es zur Überquerung der Ibbenbürener Straße Richtung Espel, weiter die Recker Straße querend nach Schlickelde. Unterwegs gibt es einen Unterschlupf zum Rasten, mit Infos zu den Tödden. Am Lager Weg geht es am Waldrand entlang, Blick über Felder und das weite Münsterland. Hier begegnet man der Kohle-Vergangenheit: Der Bergbauhistorische Verein Buchholzer Forst stellt ein Infoschild über die Geschichte der Kohleregion.
Abwechslung folgt, raus aus der Natur, hinein in die Stadt Mettingen. Danach wartet eine Herausforderung auf die Flachland-verwöhnten Münster-Radfahrer: Es geht bergauf, von 80 auf 170 Höhenmeter auf das Schafbergplateau – ein erfrischender Stopp ist an einem Wassertretbecken möglich. Immer den Schildern nach Ibbenbüren hinterher. Oben sieht man schon den Kühlturm des Ibbenbürener Kohlekraftwerks. Die Osnabrücker Straße wird überquert, immer den Radfahrschildern nach Ibbenbüren nach, so geht es durch Laggenbeck bis in Ibbenbürens Stadtmitte. Zeit für die nächste Pause in einem der zahlreichen Straßencafés. Endspurt und nochmals eine Kraftanstrengung: an den Bahnschienen raus aus Ibbenbürens Mitte, dann auf dem Radweg parallel zur Rheiner Straße hoch in den Ibbenbürener Ortsteil Dickenberg. Am besten folgt man den Schildern Richtung Hopsten. Wer auf den 130 Höhenmetern angekommen ist, darf sich freuen: eine rasante Abfahrt im Schatten der Bäume Richtung Obersteinbeck zum Mittellandkanal bringt den Schwung für die letzten Kilometer. Direkt am Kanal entlang ist Recke ausgeschildert, es begleiten das Rascheln des Schilfes und das Tuckern der Schiffe zurück zum Ausgangspunkt.