Menschen
Münsters Vertrauensexpertin
erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 101 (April 2021)
Wie geht es Ihnen, Frau Schulte-Austum?
Eva Schulte-Austum: Mir geht es richtig gut. Ich hatte gerade ein großartiges Kundengespräch und ich habe eine sehr spannende Woche vor mir, mit zwei Vorträgen und mit zwei Trainingstagen. Und am Wochenende einen Spieleabend mit Freunden. Natürlich virtuell.
Und warum fällt es vielen Menschen so schwer, sich selbst die einfach klingende Frage „wie geht es mir?“ zu beantworten?
Wir haben darin keine Übung. Auch weil ständig neue Eindrücke auf uns einprasseln. Nur wenige Menschen nehmen sich Zeit, ohne Musik, ohne Bewegung, ohne Radio und alleine, um in sich hinein zu hören, die Frage wirklich zu beantworten.
Sie saßen als Talkgast im Kölner Treff, Sie werden regelmäßig von verschiedenen Medien als Expertin interviewt, außerdem arbeiten Sie als Business- Coach und haben mehr Aufträge als Sie annehmen können. Es läuft also gut, oder?
Vertrauen boomt gerade. Einen Job zu haben, der einen absoluten Mehrwert stiftet und Menschen hilft, diese Zeit besser zu überstehen – dieses Sinnstiftende ist es, was mich wirklich glücklich macht. Ich empfinde das als ein großes Geschenk. Hat das etwas mit der Pandemie und der Unsicherheit der Menschen in dieser Zeit zu tun? Leider schwindet Vertrauen gerade – in die Politik, in die Gesellschaft. Das Thema selbst aber hat Hochkonjunktur. Vor allem die Frage „Wem kann und darf ich noch vertrauen?
Sie waren in neun Ländern unterwegs, um dort dem Vertrauen auch wissenschaftlich auf die Spur zu kommen. Welches Land hat Sie am meisten überrascht? Positiv wie negativ.
Positiv: Kanada, Schweden, Norwegen, Dänemark. Dort gibt man anderen Menschen grundsätzlich einen großen Vertrauensvorschuss. Die Menschen leben nach dem Motto: Ich vertraue dir so lange, bis du mich eines Besseren belehrst. Das Interessante dabei ist: Diese Menschen werden statistisch gesehen tatsächlich weniger enttäuscht. Denn hier wirkt die selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn wir anderen unterstellen, dass sie zuverlässig sind, die Wahrheit sagen oder uns respektvoll behandeln, dann steigt tatsächlich die Wahrscheinlichkeit, dass sie es tun. Der Grund: Das geschenkte Vertrauen setzt an einem sehr sensiblen Punkt an: unserer Ehre. Das führt dazu, dass wir das positive Bild, das das Gegenüber von uns hat, unbedingt bestätigen wollen. Dann strengen wir uns besonders an, lügen etwa weniger, kommen pünktlich oder lassen andere ausreden.
Und wie schnitt Deutschland im Vergleich ab?
Hier gilt die Devise „Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser.“ Ein Grund, warum viele Unternehmen sich immer noch mit Homeoffice schwertun, und Mitarbeiter das Gefühl haben, Präsenz im Unternehmen wird lieber gesehen. In Dänemark gibt es auch ein Sprichwort, dort heißt es aber: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist teurer.“ Deshalb ist in Skandinavien Homeoffice auch keine Möglichkeit, sondern die Regel. Die Menschen dort arbeiten gerne, sind zufriedener und haben sogar mehr Sex.
Wieso haben Sie sich das zugetraut: Job kündigen, reisen und daraus eine eigene Geschäftsidee entwickeln?
Nun ja, Träume sind zum Jagen da. Und ich wollte nicht am Ende meines Lebens mit meiner besten Freundin auf der Terrasse sitzen und sagen: Weißt du noch, damals hätte ich fast mal ... Ich glaube, dass wir am Ende unseres Lebens immer das bereuen, was wir nicht getan – oder zumindest versucht haben. Hinzu kam: Nach zehn Jahren als Personalentwicklerin für große Unternehmen habe ich immer wieder gemerkt, wie viel Vertrauen in deutschen Unternehmen fehlt, und welche krassen Folgen das hat.
Welche Folgen hat es denn, wenn Mitarbeiter ihrem Chef oder Unternehmen nicht vertrauen?
Mitarbeiter übernehmen keine Verantwortung, sondern drücken sich davor. Sie bitten nicht um Hilfe, sie geben keine Fehler zu, sondern vertuschen sie. Sie fühlen sich unwohl, kündigen innerlich – oder verlassen das Unternehmen. Fehlendes Vertrauen kostet deutsche Unternehmen jedes Jahr Milliarden. Da ist es klug und sinnvoll, etwas dagegen zu tun. Denn in einer globalisierten Welt, die sich ständig verändert, sich rasant weiterentwickelt und in der Zeit und Fachkräfte knappe Ressourcen sind, ist Vertrauen die Währung der Zukunft.
Es gibt große Vertrauensverluste (z. B. Untreue in der Beziehung) und manchmal auch ganz kleine (ich erreiche die Hotline meines Telefonanbieters nicht). Gehen wir unterschiedlich damit um?
Je größer der Vertrauensbruch, desto mehr verletzt er uns. Aus der Forschung wissen wir: Emotionale Schmerzen können eine ähnliche Intensität haben, wie körperliche Schmerzen, etwa wenn wir uns ein Bein brechen. Das erklärt auch, warum wir uns nach einem heftigen Vertrauensbruch oft zurückziehen – und der Person nicht mehr vertrauen. Wir wollen eben nicht noch einmal solche Erfahrungen machen.
Viele haben Angst davor, dass ihr Vertrauen enttäuscht wird. Sie nicht?
Auch als Vertrauensexpertin werde ich enttäuscht. Wer vertraut, der wird enttäuscht. Das ist Teil des Spiels. Wer aber nicht vertraut, der wird doppelt enttäuscht. Weil er sich jede Chance auf echte Nähe, Vertrauen und Verbundenheit nimmt.
Wann wurde Ihr Vertrauen zuletzt enttäuscht?
Ich warte seit drei Monaten auf meine Zweitschlüssel vom Autohaus. Und immer sagen sie „schicken wir, schicken wir“, doch er ist noch nicht da. Eigentlich muss ich darüber lachen, weil ich oft in meiner Funktion als Expertin davon spreche, dass Vertrauen ein Schlüssel für gute Beziehungen sei – und nun ärgere ich mich ausgerechnet über einen Schlüssel.
Sie sagen immer, dass Münster ihre Wahlheimat ist. Womit hat die Stadt ihr Vertrauen verdient?
Ich mag den Menschenschlag, das typisch Westfälische – bodenständig, zuverlässig und unaufgeregt. Zudem erlebe ich die Menschen in Münster als sehr off en, tolerant, lebenslustig und liebenswert.
Haben Sie nie überlegt irgendwo hin zu gehen wo mehr los ist: nach Köln, Berlin oder Hamburg? Also dahin, wo auch mehr Kundschaft sitzen könnte?
Glauben Sie mir, in meinem Leben ist genug los (lacht). Ich bin viel unterwegs. Und für mich ist Münster einfach Heimat. Und die kann man auch nicht ersetzen. Sie sind aber in Emsdetten aufgewachsen… Ja. Und ich habe schon mit 15 gesagt: Ich will mal irgendwann in Münster wohnen. Die Leute sagten damals: „Jaja, geh erst mal raus, lern’ die Welt kennen.“
Und das haben Sie getan?
Ich war zur Schulzeit ein halbes Jahr in Neuseeland. Dann war ich einen Monat in Chicago. Nach dem Abi für ein halbes Jahr in Australien. All das waren superschöne Zeiten, ich habe mich immer total gefreut, dorthin zu fahren, aber Münster ist einfach DIE Stadt.
Was an Münster weckt ganz besonders das Heimatgefühl bei Ihnen?
Ganz klar der Aasee. Und die Promenade. Beides am besten morgens ganz früh, wenn kaum jemand unterwegs ist, die Sonne aufgeht und sich ihren Weg durch die Baumwipfel bahnt. Das ist Heimat pur. Der Besuch auf dem Wochenmarkt, das Picknick mit Freunden am See – und ein Kaffee in der Tante August: dem Café im Südviertel, in dem ich 2016 die ersten Seiten für mein Buch Vertrauen kann jeder geschrieben habe. Ich bin in Münster angekommen und kann mir nicht vorstellen hier wegzuziehen.