Theologe und Pater Thomas Dienberg Theologe und Pater Thomas Dienberg
Foto: Katrin Jäger

Menschen

Die eigene Quelle finden

erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 104 (Juli/August 2021)

War Jesus eine gute Führungskraft?

Pater Thomas: Ja. Eine gute Führungskraft zeichnet sich dadurch aus, dass sie es schafft, im Menschen etwas zu entdecken, was dieser selbst noch nicht spürt. Und ich denke, Jesus war jemand, der gespürt hat, was sein Gegenüber ausmacht, was die Person auszeichnet. Er konnte erkennen, was wichtig ist und er konnte bei einigen auch etwas wecken. Zum Beispiel bei den Jüngern, unter denen es ja auch seltsame Gestalten gab. Die wussten oft gar nicht, was in ihnen angelegt war. Das ist Empowerment im wahrsten Sinne des Wortes. 

Empowerment, Leadership – bei diesen Worten denkt man nicht gleich an die Kapuzinerbrüder. Sind Sie als Franziskaner der Richtige, um Führungskräfteseminare zu geben?

Ich glaube schon. Wenn es um gute Führung geht, sind die Prinzipien in einem Kloster oder in einem Unternehmen sehr ähnlich. Es geht auch bei uns darum, eine Gemeinschaft zu führen und zusammenzuhalten.

Und wie funktioniert das am besten?

Man sollte den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Es gibt so ein schönes geflügeltes Wort, das heißt „Dienen statt herrschen“. Das bedeutet, dass eine Führungskraft Sorge um den anderen trägt. Sorge, dass er oder sie seinen oder ihren Weg, Halt und Sicherheit im Unternehmen oder in der Gemeinschaft findet. Und dass er sich dort entfalten kann. Gleichzeitig trägt eine Führungskraft auch Sorge um das Unternehmen oder um die Gemeinschaft. Was tut der Firma oder der Gemeinschaft gut, was muss ich fernhalten, wie muss man sich in Zukunft aufstellen, auch strategisch?

Kloster und Garten an der Kapuzinerstraße Foto: Kristina Chowanetz
Der Garten rund um das Kloster an der Kapuzinerstraße ist öffentlich zugänglich und lädt zu ruhigen Spaziergängen unter Apfelbäumen ein.
Kirchenfenster Foto: Kapuziner
Bei der Arbeit des Iunctus-Instituts geht es darum, Forschung, universitäre Lehre und Praxis zusammenzuführen. Als Kompetenzzentrum für Christliche Spiritualität ist Iunctus eine interdisziplinäre Arbeitsplattform, auf der die Theologie der Spiritualität einen wissenschaftlichen Dialog führt. Neben der Forschung bietet das Institut am Kapuzinerkloster in Workshops Beratungen und Coachings für Einzelpersonen, kirchliche Organisationen und privatwirtschaftliche Unternehmen an.

Wie schafft eine Führungskraft es, diesen Blick auf den Menschen und das Unternehmen zu entwickeln?

Das allerwichtigste ist Selbstführung. Zu schauen, was sind meine Quellen, was ist mein Menschenbild. Was gibt mir Kraft, was gibt mir Stärke? Was gibt mir auch Halt im Umgang mit Scheitern. Denn Führen heißt auch Scheitern müssen.

Und wie kommt dann dabei das franziskanische oder christliche Weltbild ins Spiel?

Wenn man alte Texte nimmt, zum Beispiel von Franziskus oder Benedikt, sind diese zunächst sperrig, weil sie nicht mehr unserer Sprache entsprechen. Doch wenn wir mit unseren Seminarteilnehmern dahinter schauen, kommt sehr oft ein „Oh – da haben die ja schon vor 800 Jahren Empowerment gelebt.“ Und es stimmt. Schon beim Ordensgründer Benedikt († 547) gab es eine agile Organisation. Auch wenn man nicht religiös ist, oder sich keiner Religion zugehörig fühlt, kann man sehr viel aus den alten Traditionen lernen. Wenn man sich darauf einlässt.

In Ihren Leadership-Seminaren spielt der religiös geprägte Begriff Spiritualität eine wichtige Rolle? Was genau versteht man unter Spiritualität?

Ich hatte vor kurzem einen Online-Workshop mit kleinen und mittelständischen Unternehmern zum Thema Selbstführung und Gesundheitsmanagement. Im Vorfeld wurde mir von den Veranstaltern gesagt, sie fänden unser Verständnis von Führung interessant, doch mit Spiritualität hätten die meisten Teilnehmer nix an der Mütze. Ich habe den Leuten dann im Seminar Fragen gestellt: Was ist die Quelle Ihres Lebens? Was ist unverzichtbar für Ihr Leben? Woraus schöpfen Sie Kraft? Das kann religiös sein, das kann aber auch eine Partnerschaft sein, das können andere Ideale sein, die so wichtig sind, dass sie überall, wo sie leben und arbeiten, umsetzen wollen und Werte daraus generieren. Letztlich geht es um die wichtige Frage: Aus welchem Geist heraus lebe ich? Oder anders gesagt: Wes Geistes Kind bin ich? Die Antwort darauf ist die je eigene Spiritualität.

Foto: Katrin Jäger
Iunctus-Institut am Kapuzinerkloster Foto: Katrin Jäger
Weder weltfremd noch abgeschottet: Das Iunctus-Institut am Kapuzinerkloster ist offen für Organisationen und Unternehmen sowie für Einzelpersonen, die sich selbst weiterentwickeln möchten.

In Ihrem nächsten Symposium geht es um das Thema „Geistliche Trockenheit“. Was ist das?

 Sie finden den Begriff schon beim Kirchenlehrer Johannes vom Kreuz († 1591) und bei anderen Persönlichkeiten, auch aus der modernen Kirchengeschichte. Zum Beispiel bei Mutter Theresa. Sie hat lange Jahre darunter gelitten. Geistliche Trockenheit meint im religiösen, spirituellen Bereich, die Erfahrung, dass ich an Gott glauben will, aber nicht weiß, ob der da ist. Ich bete zu einem Gott, aber ich erhalte keine Antwort. Johannes vom Kreuz hat dieses Gefühl als dunkle Nacht beschrieben. Er sagte: „Ich sehe vor lauter Schwärze den Himmel nicht mehr.“ Wer sich ehrlich mit seinem Glauben auseinandersetzt, kommt irgendwann an den Punkt, sich zu fragen: „Ist das eine Illusion? Ist das eine Hoffnung, die nicht fußt?“ Und dann sind wir schnell bei modernen Phänomenen wie Depressionen oder Burnout.

Und Spiritualität – also zu wissen, was einem Halt gibt – kann einem da helfen?

Ich zum Beispiel fühle mich von einer religiösen Gemeinschaft getragen, es gibt Austausch, das hat mir in solchen Situationen geholfen. Es geht bei der Spiritualität nicht nur um das schöne Gefühl, um ein Highlight im Gottesdienst. Manchmal ist sie auch saures Brot. Sie bieten auch Seminare zu den Themen Gesundheit und Zeitmanagement an.

Wie kann da Ihre Sicht auf Spiritualität und auf Selbstführung helfen?

Gesundheit heißt ja nicht Abwesenheit von Krankheit. Wir Kapuziner haben ein ganzheitliches Verständnis und helfen Menschen dabei, ihre Quellen zu finden, um sich selbst sagen zu können: „Okay, ich habe jetzt diese Krankheit, aber es gibt immer noch anderes, was dabei helfen kann zu gesunden beziehungsweise zu heilen.“ Was nicht bedeutet, dass ich die Krankheit damit ablege. Aber ich kann damit umgehen. Viele Menschen klagen, dass sie zu wenig Zeit haben, aber im Hamsterrad der Arbeit feststecken. 

Was bedeutet ein gutes Zeitmanagement aus Ihrer Sicht?

Ich glaube das ist etwas, das Ordensgemeinschaften schon von Grund auf an mitgegeben ist. Zeitmanagement heißt, sehr stark unterscheiden zu können zwischen dem, was jetzt gerade arbeitsmäßig ansteht, und einer Zeit für mich oder für Gott. Jede Zeit ist irgendwie geistlich, ob ich jetzt arbeite oder nicht. Ich lege nur den Schwerpunkt woanders hin.

In Ihrem Orden gibt es feste Gebetsrhythmen und -zeiten, aber was raten Sie einem Manager oder einer Managerin, um dem Arbeitsalltag zwischendurch zu entkommen?

Menschen, die leiten oder führen, können sich nicht eine halbe oder ganze Stunde am Tag Zeit nehmen. Sie haben diese Zeit nicht. Aber sie können gewisse Momente im Alltag nutzen und Abstand gewinnen. Ich rate jedem Menschen: Nimm dich für fünf Minuten raus. Fokussier dich darauf, was wichtig ist deinem Leben. Sich einfach nur bewusst zu werden, achtsam zu sein und an nichts anderes zu denken, darum geht es. Nur beobachten und einfach nur da sein. Und dann wieder in den betrieblichen Alltag hineingehen.

Das Iunctus Institut Foto: Kapuziner/Kolkmann
Die Themenschwerpunkte des Iunctus-Instituts sind unter anderem Leadership, Zeitdiagnostik, Gesundheit und Ökologie – jeweils im Zusammenspiel mit der Spiritualität. Im Institut arbeiten Ordensleute, Professorinnen und Professionen unterschiedlicher Fachrichtungen, wissenschaftliche Mitarbeitende und Referenten mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten.

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